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Auf dieser Seite finden Sie bereits veröffentlichte Artikel von Olaf Jacobsen. Alle Inhalte drehen sich mehr oder weniger um das Freie Aufstellen und daraus gewonnene ausgewählte Erkenntnisse, Phänomene und Erfahrungen, die sich u.a. auch auf den Alltag übertragen lassen.
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Inhaltsverzeichnis

- "Die Konsequenzen eines jungen Aufstellungsleiters", 2002
- "Frei oder geführt? - Sind Aufstellungen nur ein Fenster zur Entdeckung der überall vorhandenen Synchronizität?", 2005
- "Das Potenzial zur Selbstentfaltung", 2006
- "Missverstanden - Das freie Aufstellen ergänzt - Klärung zu den beiden Artikeln Heft 1/06 "Potenzial zur Selbstentfaltung" und "Umsonst ist nichts", 2006, dieser Artikel wurde veröffentlicht unter dem Titel "Das freie Aufstellen - eine Klärung"
- "Frei ist nicht gleich frei - Was meint eigentlich das 'Freie Aufstellen'? - Über den Unterschied zwischen Bewegungen der Seele, autopoietischem Aufstellungsverlauf und freier Aufstellungsarbeit", 2007
- "Verstrickte Gefühle - Familienstellen hilft", 2007
- "Familienprobleme - oft nur Theater?" Unbewusste Rollenspiele erkennen und beenden, 2008
- "Wünsche wecken Wirkungen und Wertungen", 2010
-  "Interview mit Olaf Jacobsen - von Ilka Baum", 2011



"Praxis der Systemaufstellung", Heft 2, 2002, S. 73 ff.

Die Konsequenzen eines jungen Aufstellungsleiters

Ich gehöre zu der Gruppe von Aufstellungsleitern, über die diskutiert wird, ob sie Aufstellungen leiten sollten oder nicht: Ich bin 35 Jahre alt, besitze keinerlei Ausbildungen und Qualifikationen anerkannter therapeutischer Art und habe in Aufstellungen sehr wenig praktische Erfahrungen (Teilnahme an zwei Arbeitstagungen, an zwei kleinen Workshops und an einem Aufstellungsseminar; eigene Aufstellungen mithilfe von Zetteln). Ich fühle mich tief in meinem Inneren dazu "berufen", Aufstellungen anzubieten, was ich auch erst seit August dieses Jahres tue.

Bisher haben sich in dieser Zeitschrift zu dem Thema "Wer sollte Leitungsaufgaben übernehmen und wer nicht?" hauptsächlich Personen zu Wort gemeldet, denen man intensive und langjährige Erfahrungen zuschreiben kann. Deswegen möchte ich an dieser Stellen einen Teil der umstrittenen Gruppe repräsentieren, auch wenn ich weiß, dass meine Sichtweise genauso subjektiv ist wie die Sichtweisen der Erfahrenen und damit keine Gruppen-Repräsentationskriterien erfüllen kann.

Ich beobachte die Diskussion über das Lehren und Lernen vom Familien-Stellen seit der ersten Arbeitstagung 1997 in Wiesloch. Ich selbst bin 1996 durch das Buch "Ordnungen der Liebe" das erste Mal auf die Aufstellungsarbeit gestoßen und habe es nach dem Lesen sofort mit Erfolg für mich und eine gute Freundin von mir angewendet (mithilfe von Zetteln). Es hatte beim Lesen dieses Buches in mir "klick" gemacht. Seitdem habe ich immer mal wieder mit mir allein in meinem Zimmer Aufstellungen für mich selbst mit Zetteln durchgeführt, die mir in der jeweiligen Problematik zu neuen Lösungsansätzen verhalfen.

Warum funktioniert das auf so einfache Weise?
Eine Frage, die häufig gestellt wird. Doch eine allgemein anerkannte Antwort steht noch aus, wir suchen noch. Inzwischen festigt sich der Begriff "Resonanz" in diesem Zusammenhang immer mehr, und die (alte, "weise") Weltsicht, dass wir unter der Oberfläche alle miteinander verbunden sind, erhält allmählich für uns durchschnittliche Bürger ihre Daseinsberechtigung. In dem Versuch, die Phänomene der Aufstellungen zu erklären, gelangen wir immer stärker zu Sichtweisen, die schon seit Jahrtausenden in unterschiedlichsten Formen von Erleuchteten gelehrt werden. Unsere Deutungsversuche dieser Phänomene lassen uns alle gemeinsam schneller reifen, als es bisher auf den üblichen therapeutischen Wegen möglich war.

Was sich in den letzten Jahren verändert hat

Mit tiefer Freude beobachte ich, dass mein innerer Widerstand gegen bestimmte Interventionen von Bert Hellinger, den ich 1997 noch fühlte, wenn ich ihn bei seiner Arbeit beobachtete, sich inzwischen auflösten durfte durch die aktuellen "Bewegungen der Seele", in denen Bert Hellinger dem Emotionsfluss der Repräsentanten und Klienten wesentlich mehr Freiraum einräumt als noch vier Jahre zuvor und auch in den Bewegungswünschen der aufgestellten Personen einen tieferen Sinn entdeckt hat.

Des Weiteren freue ich mich über die Erkenntnisse, dass niemand etwas "verspielen" kann. Wer als Aufstellungsleiter eine Person einfach nach draußen schickt, weil sie verspielt hat (z.B. durch Mord), hat den Schritt zur Integration dieser Person noch nicht wahrnehmen können. Erst allmählich wird die Lösung bewusst, dass der Täter mit dem Opfer durch die Tat untrennbar verbunden ist und die Würdigung dieser Tatsache alle Beteiligten entlastet.

Auch die Bezeichnung "Missbrauch" löst sich in ihrer bisher üblichen Bedeutung schrittweise auf. Es wird erkannt, dass Missbrauch nichts anderes ist als das Wasser eines Flusses, das sich durch einen gebrochenen Deich den Weg in das Hinterland sucht und damit dieses Land überflutet und "missbraucht". Niemand macht dem Wasser einen Vorwurf. Jeder sieht: Es folgt nur seinem Bedürfnis nach Ausgleich. Und natürlich wird darum gekämpft, dass dieser Missbrauch aufhört, doch nicht indem das Wasser beschimpft wird und man sich davon emotional distanziert und hart wird und vom Wasser Konsequenzen fordert, sondern indem man versucht, den Deich an der Stelle wieder zu reparieren, durch die das Wasser fließen konnte. Mit den Folgen des Deichbruches muss man leben. Die Konsequenzen zieht man selbst: Man verstärkt den Deich.

Und ich frage mich: Wenn ich in der Gegenwart gegenüber der Entwicklung der Aufstellungsarbeit so eine "Erleichterung" zu fühlen in der Lage bin und mit meinem Widerstand vor fünf Jahren eigentlich bereits diese Entwicklung im Voraus wahrnehmen (aber nicht deuten) konnte, ist das dann nicht die beste Grundvoraussetzung dafür, Aufstellungen zu leiten? Ich erkenne jetzt in meinem damaligen Widerstand gegen bestimmte Interventionen eine Wahrnehmungsfähigkeit durch mein Gefühl, die sich mir in letzter Zeit dadurch bestätigt hat, dass die Aufstellungsarbeit genau den Weg gegangen ist, den ich mir unbewusst gewünscht hatte.
Hätte ich vor 5 Jahren gleich Aufstellungsseminare angeboten und hätte meinen Klienten damals schon diesen Freiraum zukommen lassen, der sich jetzt in den "Bewegungen der Seele" und anderen Entwicklungen zeigt, dann hätte ich mich nach meinem Gefühl gegen die Arbeit von Bert Hellinger gestellt, denn wie kann ich "unerfahrener" Mensch behaupten, ich wäre in dem Punkt einen Schritt weiter als er?

Was ist Familien-Stellen wirklich?

Die Tatsache, dass ich "unerfahren" zu sein scheine, hat mich also gebremst. Doch hätte ich diese Bremse nicht gehabt, sondern wäre als Unerfahrener auf breiter Ebene von allen Erfahrenen zum Aufstellen eingeladen und ermutigt worden in meinen Impulsen, hätte dann das Feld der Aufsteller nicht noch schneller reifen können, weil wir voneinander gelernt hätten? Erst jetzt, wo ich mich durch die aktuelle Entwicklung bestätigt fühle, wage ich den Schritt, der mir nach Meinung einiger Experten eigentlich immer noch nicht zusteht: Ich müsse mindestens 50 Jahre alt sein und eine grundlegende therapeutische Ausbildung und Qualifikation besitzen (nach Aussage von Albrecht Mahr und anderen, die sich seiner Meinung anschließen).

Ich möchte an dieser Stelle gleich direkt auf Albrecht Mahr eingehen. In seinem Artikel "Überlegungen zur Weiterbildung im Familien-Stellen und die Rolle der IAG" im letzten Heft (1/2002) nennt er das Familien-Stellen ein "in Gruppen und im Einzelsetting angewandtes psychotherapeutisches Heilverfahren". Wenn ich ihm in dieser Bezeichnung zustimmen würde, dann würde ich ihm auch in vielen seiner weiteren Gedanken darüber zustimmen.

Doch das Familien-Stellen ist kein psychotherapeutisches Heilverfahren. Genauso wenig wie unsere menschliche Sprache ein Heilverfahren ist, weil sie in Therapien angewandt wird. Des Weiteren sind das Weinen, das Lachen, das Schreien, das Umarmen, das Verbeugen, das Fühlen, das Augenrollen, die Musik, Rollenspiel, etc. auch keine Heilverfahren einer Psychotherapie, nur weil sie im Verlauf einer Therapie auftauchen oder angewandt werden. Dieser Irrtum ist meiner Meinung nach die Ursache des Zwiespaltes unter den Aufstellern.

Was ist das Familien-Stellen dann?
Es ist eine Wahrnehmungsform für uns Menschen, die uns allen auf neue Weise bewusst werden durfte. Wir können mithilfe fremder Personen mehr über uns selbst und unser System, in dem wir leben, wahrnehmen. Es ist eine neue Reflexionsmöglichkeit, die zwar schon immer bestanden hat und auch den Menschen bewusst war, die gelehrt haben, dass unsere Umwelt für uns einen Spiegel darstellt, doch die nun viel gezielter eingesetzt werden kann. Wir können über unsere eigene Person mit ihren Gleichgewichten und Ungleichgewichten viel umfassender reflektieren und uns auf diese Weise in neue und bessere Gleichgewichte bewegen.

Man kann Aufstellungen nicht mit einem Handwerk, einer Kunst oder einer ärztlichen chirurgischen Fähigkeit vergleichen, die man lernen muss. Dazu stehen Aufstellungen zu nahe am realen alltäglichen Leben. Sie sind wie ein "Wachrütteln". Sie bringen lediglich etwas an die Oberfläche, was bei jedem Menschen bereits vorhanden ist.
Aufstellungen "wirken" nicht, sondern sie geben nur den Raum für bereits vorhandene Wirkungen. So wie ein Spiegel uns nicht unser Gesicht gibt, sondern nur den Raum dafür bietet, dass wir unser Gesicht selbst sehen können. Ein Spiegelbild "wirkt" nur dadurch, dass wir (oder unser Unbewusstes) eine Sache besser erkennen und darauf gezielter reagieren können.

Ein Aufstellungsleiter kann uns diesen Spiegel auch nicht glätten oder verzerren, denn er gehört dazu, er ist ein Teil des Spiegelbildes. Im Endeffekt liegt es an uns selbst, ob und wie wir dem gesamten Spiegelbild glauben und wie wir darauf reagieren.
Und jede äußere oder innere Reaktion von uns wirkt sich durch die tiefe Verbundenheit aller Wesen automatisch auf diejenigen aus, die auf besondere Weise mit uns verbunden sind, die mit uns auf irgendeiner Ebene in Resonanz schwingen. So lassen sich auch die "Fernwirkungen" erklären.

Ausbildung

Und wer möchte jetzt behaupten, es dürften nur "auf bestimmte Weise ausgebildete Menschen" für andere einen Spiegel darstellen? Und wer will feststellen können, wann dieses Spiegelbild stimmig und wann es unkorrekt ist, oder welche "Qualität" es hat? Das kann doch immer nur derjenige erleben, der dieses Spiegelbild zu Gesicht bekommt. Nur der Betroffene kann erspüren, ob sich bei ihm etwas löst oder etwas verschlimmert, ob sich ein innerer Widerstand regt oder ob eine Erkenntnis befreit.

Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem bei der Überlegung, wer Aufstellungen anbieten darf, nicht das Kriterium "Erfahrung", sondern das Kriterium "Deutung". Es kommt auf die Sichtweise an, die ein Mensch hat. An unseren eigenen Kindern dürfen wir erleben, dass es schon in sehr jungem Alter Sichtweisen gibt, die uns erstaunen und sogar befreien können.
Und wir spüren es auch eindeutig, wenn ein anderer Mensch etwas deutet oder erklärt, was sich für uns nicht stimmig anfühlt, was nicht löst.
Wer diesen Unterschied nicht selbst wahrnehmen kann, der ist sowieso gefährdet, in irgendeinem Bereich des Lebens naiv auf Erklärungen anderer Menschen hereinzufallen, nicht nur bei Aufstellungen.

Ich stimme dem zu, dass jemand, der eine Weltsicht entwickelt hat, die den Aufstellungen eher im Wege steht und Lösungen verhindert, eine längere Ausbildung benötigt, um diese Sichtweise zu lösen und zu korrigieren, denn er hat ja sein gesamtes Leben auf dieser Sichtweise aufgebaut und muss nun das Loslassen lernen und sein Leben langsam umordnen. Doch derjenige, der so eine Weltsicht hat, wird mit Aufstellungen zunächst auch nicht viel anfangen können und wird sie selten anbieten wollen. Tut er es doch, so stellt er für naive Klienten einen passenden Spiegel und damit eine wichtige Herausforderung dar. Von anderen Klienten wird er nicht ernst genommen werden.

Und hat auf der anderen Seite jemand als Kind, als Jugendlicher und als junger Erwachsener durch bestimmte Umstände bereits eine Sichtweise entwickeln dürfen, die Aufstellungen von Anfang an integrieren und in ihrem Verlauf unterstützen können, wozu dann noch eine "Erfahrung", die eigentlich gar nicht mehr benötigt wird?
Wer möchte behaupten, dass "Weisheit" im Alter liegt und nicht in der stimmigen SIchtweise der Einheit und Verbundenheit zwischen allen Wesen inklusive dem überall vorhandenen Bedürfnis nach Ausgleich?

Der Hinweis eines Aufstellers, man brauche viele Erfahrungen, um Aufstellungen leiten zu können, könnte ein Zeichen dafür sein, dass er selbst viele Erfahrungen benötigt hat. Und nun geht er davon aus, diesen Lebenslauf auf andere Menschen übertragen und seine eigene Erfahrung generalisieren zu können.
Wirkt ein Lehrer, der auf irgendeiner Ebene denkt, der Schüler müsse genauso lernen, wie er selbst gelernt hat oder wie es seiner Ansicht nach stimmig ist, nicht eher abschreckend und unflexibel auf den sensiblen Schüler?
Und fühlt sich der Schüler dadurch nicht eher unfrei gegenüber seinen eigenen Methoden des Lernens und Wahrnehmens?
Es kommt darauf an, was der Schüler selbst gerne möchte. Eventuelle Überlegungen zu einer "Ausbildung" müssten doch eigentlich zuerst danach forschen, wo die Unsicherheiten eines "Auszubildenden" sind, welche Fragen er stellt, welches Interesse oder Bedürfnis er hat, wo genau die "Nachfrage" besteht.
Wie wäre es, einfach nur bereit zu sein, Fragen nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten und sich selbst beobachten zu lassen? So wie Bert Hellinger?

Das morphogenetische Feld der Aufsteller

Ist wirklich der Weg zur (eigentlich nicht in Worte fassbaren) "leeren Mitte" nur über lange und intensive Reifung der Persönlichkeit erreichbar? Oder gibt es da nicht auch noch das morphogenetische Feld, das dafür sorgt, dass Menschen eine Entwicklung schneller durchleben können, wenn bereits vorher andere Menschen den Weg der Erkenntnis vorgebahnt haben?
Sollte Rupert Sheldrake mit seiner Theorie Recht haben, dann müssten die erfahrenen Aufsteller eher zu den Unerfahrenen sagen: "Wir haben lange gebraucht, um zu unseren Erkenntnissen zu kommen. Das bedeutet für euch, dass die Wege nun gebahnt sind. Ihr werdet schneller als wir zu diesen Erkenntnissen gelangen. Also folgt eurem Gefühl und euren Impulsen, es kommt aus dem Kollektiv und wird euch stimmig führen."
Wer an so eine Wirkung aus dem Kollektiv (oder auch der "großen Seele") nicht glaubt, wieso glaubt er dann an die Wirkung einer Aufstellung?

Verantwortungsübernahme

Wenn ein Aufstellungsleiter die Lösungsbilder aus seinem Gefühl und seiner Meinung nach aus dem kollektiven Gewissen holt, heißt das natürlich nicht, dass er nicht die Konsequenzen seiner Taten zu tragen hat. Jeder muss die Folgen seiner Entscheidungen tragen, ob er es möchte oder sich dagegen wehrt. Und wenn er sich gegen bestimmte Folgen wendet, wird er erfahren, dass auch das seine Folgen hat. Niemand kann sich dem überall vorhandenen Drang nach Ausgleich entziehen. Wieso also machen sich darüber bestimmte Personen Gedanken oder sprechen Warnungen aus, dass ein Aufstellungsleiter große Verantwortungen tragen muss?
Erstens impliziert diese Warnung, dass Verantwortungsübernahme für andere Menschen überhaupt möglich ist, und zweitens trägt jeder lebende Mensch selbstverständlich und unabänderbar große Verantwortung - aber immer nur für sich selbst.

Meiner Meinung nach ist die Sichtweise, dass Therapeuten und Aufstellungsleiter Verantwortung für andere Menschen tragen, ebenfalls ein großer Irrtum, der ganz bestimmte Folgen hat. Eine Folge des Bildes von Verantwortungsübernahme in der Therapie ist z.B., dass daraufhin eine Form von Anhänglichkeit oder Abhängigkeit oder Unselbstständigkeit des Klienten auftaucht, für die wiederum der Therapeut die Verantwortung übernehmen möchte, um sie zu lösen - ein Teufelskreis, durch den sich die Psychotherapie selbst erhält. Existiert in einem Kontakt das Bild, dass Verantwortung abgegeben oder übernommen werden kann, so befindet man sich automatisch (als Trancezustand) in dem Eltern-Kind-Verhältnis, das nicht lösbar ist. Die einzige Lösung besteht in diesem Fall in der Aufklärung für den Klienten, dass Verantwortungsabgabe eine Illusion ist und es nur die wahren Eltern gibt und absolut keinen Elternersatz, nicht einmal durch Lehrer oder Therapeuten.

Müsste der Hinweis von Aufstellern statt zu Kollegen ("Man braucht Erfahrungen und Reife") nicht besser in folgende Richtung gehen: Jeder Klient trägt selbst die Folgen für seine Entscheidung, sich den Erkenntniswirkungen einer Aufstellung auszusetzen, und auch für seine Wahl, wer sie begleitet?
Ist damit nicht sowieso schon das erste "therapeutische Ziel" erreicht? Und ist damit nicht bereits der Nährboden für manch bindende "Wut" eines Klienten auf den scheinbar Verantwortlichen für die Problemlösung gleich von Beginn an entzogen? Und dann würde sich vielleicht auch der typische hilflose Satz von Aufstellern "Man kann hier nichts machen" verwandeln in "Ich kann hier nichts machen".
Liegt in dem gemeinsamen Bestreben aller "Begleiter", die Klienten als Erstes in Bezug auf ihre Eigenverantwortlichkeit aufzuklären, nicht mehr Kraft (egal wie widersprüchlich das auch ist), als wenn im Gegensatz dazu die Aufstellungsleiter sich gegenseitig "Erfahrungen" ab- oder anerkennen?

Für manche wäre das, wie wenn alle Handwerker zu ihren Kunden zunächst sagen: "Sie können das auch selbst tun!" Dann reagiert der eine Kunde vielleicht tatsächlich so und sagt: "O.k., ich probier´s mal. Vielleicht schaffe ich es. Danke für den Tipp" - und geht.
Und ein anderer Kunde denkt sich: "Der ist aber seltsam. Ich suche mir einen anderen Handwerker" - und geht.
Ein dritter Kunde wird wütend, ruft im Weggehen: "Sie mich auch!" und schlägt die Tür hinter sich zu.
Aber es gibt auch Kunden, die sagen: "Ja, ich weiß, dass ich es auch selbst könnte. Ich möchte aber gerne, dass Sie das für mich tun. Ich zahle den Preis dafür" - und bleiben. Und dann ist der Handwerker sich der Eigenverantwortlichkeit seines Kunden sicher und damit frei, als Dienstleistender zu handeln. So kann die Zusammenarbeit gelingen.

Übrigens: Dass man für das scheinbare Übernehmen von Verantwortung für unterschiedlichste Menschen sehr viel Erfahrung braucht, davon bin ich fest überzeugt! In diesem Fall kann man gar nicht genug Erfahrung haben, um frei sagen zu können: "Ich (oder die Aufstellung, die ich leite) bin qualifiziert und kann Ihnen Impulse zur Lösung Ihres Problems geben."

Ich sage mit meiner wenigen Erfahrung: "Ich biete Ihnen als Organisator die Möglichkeit an, eine Aufstellung durchzuführen. Was dabei herauskommt, werden wir dann alle gemeinsam sehen und jeder für sich deuten. Die Verantwortung für seine Entscheidungen und für alle seine Erfahrungen während einer Aufstellung trägt jeder Teilnehmer selbst."
Wäre das nicht ein entlastender Vorschlag auch für erfahrene Aufsteller, auf diese Weise mit Aufstellungen und mit Teilnehmern umzugehen? Denn so schauen Teilnehmer wesentlich mehr auf ihr eigenes Gefühl als auf ihr "blindes" Vertrauen zu erfahrenen Aufstellungsleitern aus einer Liste (die auch ihre schwarzen Schafe, sprich: fragwürdig arbeitende Personen haben könnte, wie uns Albrecht Mahr im oben genannten Artikel mitteilt, wenn man genau hinschaut). Wer sich bewusst nach eigenem Gefühl für einen Aufstellungsleiter entscheidet, kann besser die Verantwortung für eine (scheinbare) Fehlentscheidung übernehmen, als wenn er sich nach einer Liste richtet, die Qualifikation verspricht, aber nicht immer in der Lage ist, sie auch einzuhalten (nobody ist perfect). In letzterem Fall ist die Gefahr größer, dass ein Teilnehmer sich hinterher ohnmächtig fühlt, weil er die Verantwortung an den qualifizierten Aufstellungsleiter abgegeben hatte.

Unqualifikation

Ist diese Gefahr gegenüber Unqualifizierten nicht wesentlich geringer, vorausgesetzt, sie verstecken ihr Unwissen nicht hinter einer Fassade "scheinbarer" Erfahrung? Mir als Aufstellungsleiter mit wenig Erfahrungen würde es leichter fallen, meine Unqualifikation offen zu zeigen, wenn ich dabei die erfahrenen Aufsteller hinter mir wüsste, und wenn ich wüsste, dass jeder Aufsteller die Übernahme von Verantwortung gegenüber Teilnehmern von sich weisen würde. Aus diesem Gefühl heraus "weiß" ich (als Repräsentant der "anderen" Seite), dass der Ruf mancher Aufsteller nach einer bestimmten Qualifikation in gewisser Weise die damit bekämpfte Problematik eher verstärkt als löst.
Denn ein Neuling, der sich aus dem Feld nicht unterstützt fühlt, hat die Tendenz, sein Neulingsdasein zu verstecken (was natürlich im Endeffekt in seiner eigenen Verantwortung liegt).

Die Alternative, aufgrund weniger Erfahrungen keine Aufstellungen zu leiten, funktioniert nicht, denn der Drang, dies doch zu tun, ist zu groß. Es ist zu "nahe" am Leben dran, zu klar und zu einfach zu verstehen und in den Alltag umzusetzen, zu intensiv in seiner Erkenntniswirkung, als dass man es sein lassen könnte.

Sollten wir nicht dem Klienten seine Suche nach dem passenden Aufstellungsleiter vollständig selbst überlassen, anstatt zu überlegen, wie wir ihm in seiner Suche eine "Sicherheit" geben und ihn dadurch vor seiner eigenen Naivität schützen könnten?

Ich habe bei der gegenwärtigen Situation das Bild eines Kindes, das einen Erwachsenen imitiert, und der Erwachsene damit unzufrieden ist.
Ein unqualifizierter Aufsteller gerät in die Versuchung, die qualifizierten Aufsteller nachzuahmen und Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen. Und nun wehren sich manche Qualifizierten dagegen oder übernehmen die Aufabe, öffentlich darüber zu reflektieren, anstatt die Lösung selbst vorzuleben, nämlich die Verantwortungsübernahme für Klienten abzuweisen.

Noch etwas anderes: Gibt es da nicht einen Unterschied zwischen jemandem, der mit dem Druck nach Qualifikation eine Arbeit ausübt, und dem, der durch seine eigene Leidenschaft angeregt eine Arbeit ausübt?
Ideal wäre natürlich derjenige, der durch seine Leidenschaft zu Qualifikation gelangt, doch der fordert nicht von anderen eine Qualifikation, sondern Leidenschaft.

In Resonanz mit anderen Aufstellern

Meine Konsequenz als junger Aufstellungsleiter gegenüber dieser Diskussion unter erfahrenen Aufstellern, wer Aufstellungen leiten sollte und wer nicht, ist folgende:

Bei denjenigen, die Ermutigungen aussprechen und uneingeschränkte Unterstützung anbieten, fühle ich mich anerkannt, verstanden, integriert und wohl. Dort schaue ich gerne hin und entwickle ein Gefühl, durch das ich in Kontakt treten kann (entweder auf der materiellen oder geistigen Ebene). Ich gehe ein Gleichgewicht zu ihnen ein, gehe in "Resonanz".

Bei denjenigen, die Warnungen aussprechen, Grenzen setzen und der Meinung sind, etwas "lehren" zu müssen, fühle ich mich nicht verstanden, nicht integriert und unwohl. Dort schaue ich weg, distanziere mich setze auch meinerseits Grenzen gegen diese Personen und gehe davon aus, dass sie mir nicht hilfreich sein können, denn ihre Deutungen sind mit Grenzen durchzogen. In diesem Fall bin ich ebenfalls in eine Resonanz mit ihnen gegangen und befinde mich mit ihnen in einem Gleichgewicht.

Ver sich mit Aufstellungen beschäftigt, wird entdeckt haben, dass es einzig und allein um Integration geht, also um das Auflösen der Illusion von Grenzen. Und diese Integration führt von selbst zu Ordnungen, die befreien, zu Grenzen, die nicht begrenzen, zu Unterschieden, die dazugehören.
Im Angesicht der nicht von Menschen gemachten (nur entdeckten) Phänomene von Aufstellungen sollte es nicht um die Frage gehen wer qualifiziert ist, sondern wir sollten alle zusammenarbeiten und uns gegenseitig mit dem Material achten, mit dem jeder auf seine Weise an Aufstellungen herangeht. Nur eines sollte ausgeschlossen werden: der Ausschluss.

Am meisten freue ich mich und fühle mich wohl und frei in der Resonanz mit denjenigen, die in jedem Gegenüber das vollständige Potenzial zum Fühlen und Wahrnehmen erkennen können, ohne dabei an Ausbildung oder Weiterbildung zu denken. Jeder Mensch ist, und das macht ihn automatisch zum wahrnehmendenen und fühlenden Wesen. Und deswegen trägt auch jeder selbst die Verantwortung für seine eigenen Gefühle, Wahrnehmungen und die daraus resultierenden Handlungen.

Die Sorge, dass ein Aufstellungskollege mit wenig Wissen Unheil anrichten könnte, ist nach meiner Sichtweise eine Folge von verschobener Verantwortungsübernahme. Diese Sorge ist normalerweise ein Gefühl von Eltern gegenüber ihren Kindern.

Rückgabe einer Last

Einige Aufsteller benutzen das Ritual, eine "Last" in Form eines Kissens oder eines Steins oder eines anderen Symbols wieder an die Person zurückzugeben, von der sie ursprünglich kommt.
Oft wird berichtet, dass dabei ein Widerstand auftritt.
Entweder es fällt einem schwer, diese Last zurückzugeben, oder das Gegenüber mag diese Last nicht so recht zurücknehmen.

Ich persönlich meine, dass das Übernehmen einer Last eine Illusion ist, eine "Fehldeutung". Und weil das Übernehmen einer Last eine Illusion ist, kann auch keine Last zurückgegeben werden. Die versuchte Rückgabe muss auf irgendeiner Ebene zu Widerstand führen, weil man in Wirklichkeit einen Teil von sich selbst abgibt, ohne ihn in seinem positiven Sinn gewürdigt zu haben. Schon alleine das Wort "Last" beinhaltet etwas Negatives, das voraussetzt, dass hier etwas "falsch" gelaufen ist. Es übersieht den übergeordneten Sinn dieser Last. Sie wird nicht anerkannt und in ihrer Existenz gewürdigt. Sie wird nicht als "zu lernende schwere Aufgabe" gesehen.

Wenn also eine Last gar keine Last ist, was schlage ich als alternative Deutung vor?
Derjenige, der eine Last von einem Elternteil übernommen zu haben scheint (ein Schicksal oder eine Krankheit), ist in Wirklichkeit nur ein "Gleichgewicht" zu diesem Elternteil eingegangen (Ergänzung 2006: ... hat sich seinen Eltern und deren Schicksal "zur Verfügung gestellt").
Wäre tatsächlich eine Last übernommen worden, müsste es doch beim Elternteil befreiend wirken, doch das tut es meistens nicht. Man geht einfach nur ein Gleichgewicht zum Schicksal des anderen ein - aus Liebe, aus dem Wunsch, den anderen verstehen zu können, aus dem Wunsch, das Problem am Ende lösen zu können. Würde man das nicht tun, so wäre ein Gefühl von Distanz und Ausschluss da, für das man nicht bereit ist. Und da man nicht bereit ist zur "Abkoppelung", lebt man so lange in diesem (Un-)Gleichgewicht, bis man an und in diesem Schicksal gereift ist und danach sagen kann: Ich habe etwas erkannt und gehe dadurch nun einen (scheinbar) getrennten Weg von dir (bisher: Ich gebe die Last an dich zurück).

Der gemeinsame Weg, die gemeinsame Last war eine notwendige Reifungszeit, die nicht wieder zurückgegeben werden kann, sondern unabänderlich zum eigenen Lebensweg gehört und zu dieser Erkenntnis geführt hat. Eine Last ist nichts weiter als eine schwere Aufgabe, die man noch nicht gelöst hat und gegen die man sich wehrt und sie verschieben wil, weil sie so schwer ist. Doch man wird immer wieder mit dieser Aufgabe konfrontiert, bis sie gelöst und vollständig integriert ist. Dann ist es ganz "leicht", und die Last ist verschwunden, auch für die nachfolgende Generation.

Haben die Eltern diese Aufgabe nicht lösen können, müssen die Kinder weiterknobeln, denn sie kennen ebenfalls die Lösung noch nicht und werden vom Leben damit konfrontiert. Eine Erkenntnis kann es auch sein, wenn man entdeckt, dass man selbst diese Aufgabe nicht lösen kann, weil sie in der Generation davor gestellt wurde. Doch dann muss man nichts mehr zurückgeben. Diese Erkenntnis genügt und löst von selbst. (Ergänzung 2006: Heute weiß ich, dass der Satz "Ich stehe dafür nicht weiter zur Verfügung" eine genial befreiende Wirkung haben kann, wenn man zu dem schmerzhaften Schicksal eines anderen Menschen ein Gleichgewicht eingegangen war. Nun steht man diesem Schicksal nicht weiter zur Verfügung, versucht nicht mehr, es zu lösen, überlässt die Lösung vollständig demjenigen, der das Schicksal trägt und zu dem es gehört. Siehe auch mein Buch "Ich stehe nicht mehr zur Verfügung").

Hauptziel ist meiner Meinung nach das Erreichen einer bestimmten, von selbst lösenden Erkenntnis, und Aufstellungen unterstützen uns darin (eben wie ein Spiegel).
Dabei kann eine Erkenntnis sowohl das Anerkennen vergangener schmerzvoller Ereignisse wie auch das Anerkennen kraftvoller Ressourcen für die Gegenwart oder die Zukunft bedeuten. Die Möglichkeit der Erkenntnis beinhaltet immer sowohl das Aufdecken und Ausleben einer vorhandenen Schmerzquelle als auch das Aufdecken und Ausleben einer vorhandenen Kraftquelle, je nachdem was gerade gesehen werden will. Und beides führt zum jeweils passenden Zeitpunkt in ein neues Gleichgewicht.

In Bezug auf eine scheinbar übernommene Last ist es oft der große Schmerz "Ich kann dir nicht helfen, und das tut mir so weh!", den man noch nicht erkannt hat oder nicht zulassen kann, und deshalb lieber an dem Gleichgewicht zu dieser Last festhält.
Ein Therapeut, der diesen Satz nicht sagen kann, sondern an seiner Hilfe für einen anderen Menschen festhält, meint, Verantwortung für diesen anderen Menschen zu haben.
Das Loslassen dieser Verantwortung würde ihm selbst wehtun. Außerdem führt dieser unausgelebte Schmerz zu einer gewissen "Härte" gegenüber dem Klienten, wenn der Therapeut sich machtlos zu fühlen beginnt. So ähnlich wie Eltern, die sich gegenüber dem Verhalten ihres Kindes machtlos fühlen, aber nicht loslassen (nicht trauern) können und hart (trotzig) werden.
Konnte dieser Schmerz erkannt und ausgelebt und entlasstet werden, ist man fähig, zu seinen Kindern oder seinen Klienten oder auch seinen Eltern (zu denen man ein Gleichgewicht eingegangen war) zu sagen:
"Ich habe durch die Last gelernt. Nun habe ich etwas erkannt, habe ausgelernt und gehe einen neuen Weg, lerne etwas Neues. Ich erkenne deinen Weg an und gehe dadurch meinen."
Oder ganz einfach und mit Liebe: "Ich habe erkannt, dass ich dir nicht helfen kann, und das tut mir sehr Leid."(Ergänzung 2006: ...oder "Ich stehe für dieses Gefühl / dieses Verhaltensmuster / diese Hilfe nicht mehr zur Verfügung.")

In diesem Sinne sage ich hier zu denjenigen erfahrenen Aufstellern, die gerne Verantwortungen für das Feld der Aufsteller übernehmen: "Ich habe erkannt, dass ich euch in eurer Sichtweise nicht unterstützen kann, und das tut mir sehr Leid. Bitte, schaut freundlich zu mir, wenn ich mich jetzt entscheide, die Vorstellung von einer langen Ausbildung und Reifung loszulassen; und auch die Vorstellung von der Möglichkeit, für andere Menschen Verantwortung zu übernehmen, weglasse; und wenn ich dadurch nun zu euch ein (scheinbares) Ungleichgewicht eingehe und mithilfe meines Gefühls und sehr wenigen Erfahrungen Aufstellungen organisiere, anbiete und so leite, wie es zu dem Zeitpunkt für alle stimmig ist. Ich danke euch dafür, dass ihr die Wege gebahnt, Erfahrungen gesammelt, Bücher und Seminare angeboten, Videos hergestellt und insgesamt unser morphogenetisches Feld der Aufstellungen weiterentwickelt habt. Ohne das alles könnte ich jetzt nicht diesen Schritt tun."

Ich wünsche mir, dass in dem ständig wachsenden Feld der Aufsteller der Begriff "Erfahrung" im Laufe der Zeit zweitrangig wird und an die erste Stelle das Bild von "Antennen" treten kann. Jeder Mensch ist zu jedem Zeitpunkt eine Antenne für Intuitionen, in Resonanz mit seiner Umwelt, durch seine eigene Sichtweise eingestellt auf bestimmte Frequenzen. Und egal, was empfangen und wie es gedeutet wird, es hat immer seinen Ursprung im Kollektiv.
Ein Ende dieser Ent-Wicklung wäre, dass jeder Mensch sich selbst als Aufstellungsleiter seiner eigenen Lebensaufstellung erleben kann. In diesem Moment wäre das Aufstellen in den Alltag integriert, und jeder hätte das erkannt, was Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer bereits beschrieben haben: Aufstellungen finden immer und überall statt (auch ohne Aufstellungsleiter).

Unser Umfeld ist immer ein Spiegelbild zu unserem Inneren, es geht ständig ein Gleichgewicht zu unseren eigenen unerlösten Wünschen nach Integration ein, ohne Ausnahme. Wir haben die volle Verantwortung für das, was uns begegnet und wie wir darauf reagieren.
Und gleichzeitig kommen unsere Wünsche aus dem Kollektiv, sind mit dem Kollektiv in Resonanz, im Gleichgewicht.

Das ist die Faszination des Lebens und des Aufstellens gleichermaßen: das Erlebnis von Selbstständigkeit und gleichzeitig von absolutem Eingebundensein.

Aufstellen ist konzentriertes Leben.

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"Systemische Aufstellungspraxis" Heft 1, 2005, S. 28 ff.
(die Zeitschrift gibt es inzwischen nicht mehr)

Frei oder geführt ?

Sind Aufstellungen nur ein Fenster zur Entdeckung der überall vorhandenen Synchronizität?

Wie lehrt oder lernt man den Umgang mit Aufstellungen? Wie kann man die Qualität von Aufstellungen erhöhen und ihre Wirkungen optimieren? Wie funktionieren Aufstellungen am besten? Wie ist die rechte innere Haltung als Aufstellungsbegleiter? Welche Intervention unterstützt den Erkenntnis- und Entwicklungsprozess der aufstellenden Person?
Ein eher zufälliges Experiment hat mich mit einem Schlag von all diesen Fragen befreit und mein Weltbild in eine vollkommen neue Richtung gelenkt.
Ich wollte mit 3 Freunden eine Glaubenspolaritätenaufstellung (nach Varga von Kibéd und Sparrer) durchführen. Dazu wären 4 Stellvertreter nötig gewesen: der Fokus und die Pole Liebe, Erkenntnis und Ordnung. Mir standen jedoch nur 3 Personen zur Verfügung, und so nahm ich gleich selbst meinen Platz als Fokus ein. In letzter Zeit habe ich das "verdeckte" Aufstellen schätzen gelernt, bei dem die Stellvertreter nicht erfahren, wen sie darstellen sollen, und sich trotzdem "stimmig" verhalten. Bisher war ich davon ausgegangen, dass die innere Vorstellung der aufstellenden Person telepathisch auf die Stellvertreter wirkt. Denn diese Person ist beim verdeckten Aufstellen der einzige Mensch, der weiß, wen die Stellvertreter vertreten. Sie bestimmt selbst und gibt innerlich den Stellvertretern ihre Rollen.
Als ich bei meiner geplanten Polaritätenaufstellung nun gleich selbst meinen eigenen Platz als Fokus einnahm, wollte ich jedoch trotzdem meine Unkenntnis darüber bewahren, welcher Stellvertreter welchen Pol darstellte, um "unbeeinflusst" meine Gefühle gegenüber diesen Polen wahrnehmen zu können. Und so kamen wir auf die Idee, die Pole auf Zettel zu schreiben und jeden Stellvertreter einen Zettel ziehen zu lassen, ohne dass jemand nachschaute, was auf diesem Zettel stand. In dieser Aufstellung hatte also jeder Stellvertreter einen Zettel in der Hosentasche, keiner wusste, was auf seinem Zettel stand, und auch ich wusste nicht, wer welchen Pol darstellte: eine "Doppelblind-Aufstellung".
Ohne außenstehende Begleitung - nur im gemeinsamen Austausch untereinander - ließen wir unseren Gefühlen freien Lauf, und die Aufstellung bewegte sich ganz autonom bis zu einer mir sehr angenehmen Lösung. Am Ende ahnte ich, wer welchen Pol darstellte. Ich gab Tipps ab ... die Stellvertreter schauten auf ihre Zettel ... und es stimmte!
Wie war das möglich?
Ich beschloss, in meiner Experimentiergruppe dieses Phänomen zu überprüfen. Wir führten Aufstellungen durch, in denen die Stellvertreter verdeckte Zettel mit von der aufstellenden Person notierten Rollenbezeichnungen zogen, ohne sie anzuschauen. Aufgrund des anfänglichen Verhaltens der Stellvertreter gab dann nach einer gewissen Zeit die aufstellende Person einen Tipp ab, wer welche Person oder welches Element repräsentierte. Die Trefferquote war erstaunlich hoch. Und vor allem: Dort, wo die Tipps verkehrt waren, konnte die aufstellende Person trotzdem der durch die Zettel aufgedeckten Rollenverteilung zustimmen. Oft kam eine Fehldeutung dadurch zustande, dass bestimmte Verhaltensdynamiken auf mehrere Stellvertreter zutrafen.
Auffällig war zusätzlich, dass keine aufstellende Person klar sagen konnte, dass das Verhalten eines Stellvertreters mit seiner am Schluss aufgedeckten Rolle absolut nicht übereinstimmte. Es passte nachträglich immer und ergab einen Sinn.
Wie kann ein Stellvertreter unbewusst eine Rolle stimmig darstellen, wenn niemand im Raum weiß, wen oder was er überhaupt vertritt? Nur ein verdeckter Zettel in der Hosentasche des Stellvertreters enthält die Information. Bedeutet das nun, dass Stellvertreter diese Information "erspüren" können?
Doch welche Interpretation am besten zu diesem (für jeden nachprüfbaren) Phänomen passt, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Welche Deutung, welches Weltbild ist für ihn stimmig?
Für mich war diese Entdeckung des so klaren "Nicht-Zufalls" das Tüpfelchen auf dem i. Ich hatte schon vorher in meinem Alltag immer deutlichere Erlebnisse, in denen ich Synchronizitäten entdeckte, die keiner Ursache-Wirkung-Erklärung Raum gaben. Z.B. beschäftigte ich mich einen Tag lang mit einem bestimmten persönlichen Thema. Als ich dann in den späten Nachmittagsstunden in einer Pause den Fernseher anschaltete und eine Star-Trek-Folge ansah, wurde ich auch hier mit dem gleichen Thema konfrontiert. Die Raumschiffcrew durchlitt genau das, was mich schon den ganzen Tag beschäftigte. Mehr noch: Das Happy-End gab mir eine Lösung.
Ich denke an die vielen "stimmigen" Momente, in denen ich zu Tarotkarten, Engelkarten oder zum I-Ging griff, um Hilfen für meine gegenwärtigen Launen zu erhalten. Warum bewegen mich die Antworten, die ich von spontan gezogenen Orakel-Karten erhalte, tief in meiner Seele und passen zu meiner Situation? Zu meinen Fragen?
Zufall? Telepathie? Beeinflussung?
Nein, für mich passt jetzt nur noch ein Begriff: Synchronizität. Und diese Synchronizität ist genau das, was uns in Aufstellungen besonders intensiv begegnet. Warum? Weil wir hier gezielt unsere Aufmerksamkeit darauf lenken. Doch sie ist überall vorhanden. Wir brauchen auch im Alltag nur unsere Aufmerksamkeit auf sie zu richten. Und ich behaupte: Dort, wo wir keine Synchronizität entdecken, ist sie trotzdem vorhanden. Wir Menschen sind nur auf unseren kleinen Horizont beschränkt und können sie in diesem Moment noch nicht bewusst wahrnehmen. Jede Horizonterweiterung, jede Bewusstseinserweiterung, jeder Entwicklungs-prozess führt automatisch zu immer häufigeren Erkenntnissen von Synchronizität - weil sie einfach überall vorhanden ist, in jedem kleinen Detail und in jeder übergeordneten Gesamtdynamik.
Was ist jetzt für mich die Konsequenz, die sich aus diesem neuen Weltbild ergibt?
Das Universum ist perfekt - wir können (oder wollen oder müssen) es nur nicht immer sehen. Jedes Geschehnis hat seinen Platz, gehört dazu, hat seinen Sinn und Zusammenhang.
Das "Falsche", die "Fehler", das "Schlechte", das "Böse", das "Zu-Vermeidende" sind nur Zeichen von gezogenen Grenzen. Alles, was innerhalb dieser Grenzen gesehen wird, gehört dazu und ist "richtig". Alles, was außerhalb dieser Grenzen eingeordnet wird, gehört nicht dazu und ist falsch.
Gibt es keine Grenze, dann gibt es auch keine Wertung - und das Universum wird als absolut vollkommen erkannt, in perfekter Harmonie mit sich selbst. Auf dieser Ebene gibt es keine Ziele, für die der eine Weg richtig und ein anderer Weg falsch wäre. Man "ist" einfach nur. Das "Sein" ist das einzige, das ohne Wertung ist, denn es gibt kein "Nicht-Sein", also kein Bereich, der ein "falsches Sein" wäre.
Da wir in Aufstellungen oft einfach nur "sind", anders als in alltäglichen Situationen mit unseren Zielen, Wünschen und Vorstellungen, zeigt sich uns hier viel deutlicher die Synchronizität. Besonders aber, wenn man mutig Aufstellungen ohne jegliche Wertungen (d.h. ohne Grenzen, Beschränkungen, Regeln, Richtlinien, Überzeugungen, Befürchtungen, ...) ermöglicht. Gerade bei solchen "freien" Aufstellungen kann durch gezielte Beobachtungen und Benennung aller Geschehnisse in der Aufstellung und um die Aufstellung herum die Fasziniation von Synchronizitäten erlebt werden.
Wer von der Ebene der Synchronizität auf die anderen Ebenen schaut, in denen Ziele, Grenzen, Vorstellungen, Wertungen, ... vorhanden sind, kann diese erkennen als einfache Formen, die zu allem dazugehören und nichts anderes "sind" als eben Formen, die begrenzen.
Bisheriges Weltbild: Es kann derjenige Aufstellungsleiter am besten seinen Teilnehmern helfen, der achtungsvoll auf die Schicksale seiner Teilnehmern schaut, absichtslos handelt, sich selbst und seine eigenen Vorstellungen zurückhält, ein fundiertes psychotherapeutisches Wissen besitzt, viele Erfahrungen vorweisen kann, eine offene Haltung zeigt, mutig und freundlich ist, keine Dogmatik an den Tag legt.
Dazu im Vergleich das Weltbild der Synchronizität: Die Synchronizität findet auch ohne Aufstellungsleiter statt. Eine Aufstellung kann genauso gelingen und wirken, wenn sich ein paar Menschen zusammentun und sich gegenseitig als Beobachter oder als Stellvertreter Gefühle, Sichtweisen und Handlungsvorschläge anbieten. Ausschlaggebend sind die Erkenntnisse, die der Aufstellende zum für ihn passenden Zeitpunkt für sich selbst gewinnt.
Ein qualifizierter Aufstellungsleiter wird in dem Moment benötigt, wenn Menschen nach ihm suchen, wenn sie also ein Ziel in Verbindung mit bestimmten Vorstellungen haben. In diesem Fall sind auch Wertungen und Grenzen vorhanden, aus denen heraus man sagt, dass ein unqualifizierter Aufstellungsleiter schlecht (dem Ziel nicht dienlich) und ein Qualifizierter gut (dem Ziel dienlich) ist.
Des Weiteren wird im Weltbild der Synchronizität gesehen, dass ein "Fehlverhalten" eines Leiters genau in dem Moment auftaucht, in dem TeilnehmerInnen oder auch der Leiter selbst aus diesem Fehlverhalten lernen wollen/sollen. Synchronizität. Perfektion des Universums.
Bisheriges Weltbild: Man kann das Aufstellen erlernen. Es werden dazu unterschiedliche Ausbildungskurse angeboten.
Weltbild der Synchronizität: In einer Ausbildung für Aufstellungen lernt man die Ziele, Vorstellungen und Grenzen des Weltbildes desjenigen kennen, der die Ausbidlung durchführt.
Was passiert, wenn jemand von der "Tiefe" einer Aufstellung schwärmt? Er wertet. Er geht davon aus, dass es Aufstellungen gibt, die weniger tief sind, vielleicht sogar flach, lasch, oberflächlich oder chaotisch.
In diesem Fall kann man eine momentane Grenze in seinem Weltbild erkennen. Er selbst ist durch diese Grenze nicht in der Lage, die Oberflächlichkeit oder das Chaos einer Aufstellung als stimmige "Tiefe" zu sehen. Denn eine scheinbar oberflächliche Aufstellung kann eine bestimmte Synchronizität zu der aufstellenden Person zeigen. Wenn man dies erkannt hat, kann man auch das Oberflächliche und Chaotische für einen "tiefen" Erkenntnisprozess nutzen.
Was ist, wenn jemand enttäuscht berichtet, eine Aufstellung habe nicht gewirkt? Er wertet. Er geht davon aus, dass es Aufstellungen ohne jegliche Wirkung gibt.
In diesem Fall kann man eine momentane Grenze in seinem Weltbild erkennen. Er selbst ist dadurch nicht in der Lage, z.B. die Erkenntnis der Wirkungslosigkeit selbst oder sogar seine Enttäuschung als eine bestimmte Form der Wirkung zu erkennen.
Was geschieht, wenn jemand euphorisch von einer "freien" Aufstellung spricht? Er wertet. Er geht davon aus, dass es Aufstellungen gibt, die unfrei sind, eingeengt, begrenzt.
In diesem Fall kann man eine momentane Grenze in seinem Weltibld erkennen. Er selbst ist durch diese Grenze nicht in der Lage, die Beschränkungen in einer Aufstellung als eine bestimmte Form zu erkennen, die der aufstellenden Person etwas geben oder spiegeln und somit dem Erkenntnis- und Wachstumsprozess dienen kann.
Und was ist, wenn jemand wertend feststellt: Hier wertet ein Mensch? Es geht davon aus, dass Wertung etwas Negatives ist und erkennt nicht, dass sie auch dazugehört und für wichtige Erkenntnisprozesse genutzt werden kann. Unterschiede, Grenzen, Wertungen gehören zum Lebensprozess. Sie "sind".
Jede Freiheit ist geführt. Und jede Führung ist frei gewählt. Synchronizität ist überall. Und wir erkennen sie dort, wo wir diese Erkenntnis benötigen. Alles gehört dazu, selbst der Ausschluss und die Grenze. Alles ist, was es ist. Selbst wenn wir die Synchronizität nicht erkennen, so gehört auch das dazu.
"Die Perfektion des Universums zeigt sich in der Synchronizität.
Je mehr wir die Synchronizität erkennen, desto mehr erkennen wir die Perfektion des Universums" (Jacqueline Schwindt, Aufstellerin)
Für mich stellt sich nicht mehr die Frage: Wie gelingen Aufstellungen? Sondern ich frage mich: Wie gelingen lösende Erkenntnisse?
Hat eine Erkenntnis eingeschlagen, erkenne ich oft hinterher, dass es gar nicht anders hätte kommen können - nicht früher und nicht später. Das Universum ist perfekt ...

... und egal, was jetzt für weitere Gedanken oder Widersprüche oder Einwände oder Ergänzungen entstehen: Auch das gehört dazu, "ist" einfach und kann für den eigenen Erkenntnis- und Wachstumsprozess genutzt werden.

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"Systemische Aufstellungspraxis" Heft 1, 2006, S.47 ff. 

 
Das Potenzial zur Selbstentfaltung
 
Ich erlebe bei meinen Aufstellungsworkshops immer wieder folgenden Aufstellungsablauf unterschiedlicher Personen:
Ein(e) Teilnehmer/in hat sich selbstständig überlegt, was sie aufstellen möchte. Sie erzählt niemandem, um welches Thema es geht, sucht sich Stellvertreter aus der Gruppe und teilt auch diesen nicht mit, wen sie repräsentieren sollen: eine "verdeckte" Aufstellung. Selbst ich als Moderator bin nicht eingeweiht.
Die Stellvertreter dürfen sich von Anfang an frei bewegen und allen Impulsen folgen. Es entwickelt sich ein improvisiertes Rollenspiel. Die Stellvertreter kommunizieren miteinander, teilen ihre Gefühle mit, bewegen sich - und die aufstellende Teilnehmerin sitzt beobachtend am Rand, stellt ab und zu eine Frage, probiert selbst manchmal etwas aus, ist berührt von dem, was sich in den Handlungen der Stellvertreter zeigt, weint intensiv, während allmählich in der Aufstellung eine Versöhnung zum Vorschein kommt. Und am Ende fühlen alle Stellvertreter: Jetzt ist es gut, die Aufstellung hat ein neues und harmonischeres Gleichgewicht erreicht. Die aufstellende Teilnehmerin fühlt Dankbarkeit für alles, was sich gezeigt hat.
Ich als Moderator und auch alle anderen passiven Teilnehmer saßen schweigend am Rand und beobachteten alles. Keiner hatte eingegriffen. Keiner wusste, worum es ging - nur die aufstellende Teilnehmerin wusste Bescheid, konnte bewusst alles mitleben und mitdenken.  Und die Lösung entwickelte sich ganz allein, ganz selbstständig, ganz autonom, "autopoietisch", ganz frei zwischen den Stellvertretern und der aufstellenden Teilnehmerin.
 
Wenn solche Aufstellungen immer wieder möglich sind, dann ist meine Konsequenz als Moderator aus dieser Erfahrung folgende:
Ich möchte diesen Prozessen so gut wie es geht nicht im Wege stehen. Ich gehe also immer zu Beginn jeder Aufstellung davon aus, dass sie ganz selbstständig ablaufen kann, ohne dass meine Hilfe und Impulse überhaupt gebraucht werden. Ich bin überflüssig. Das ist meine Grundhaltung. Nur wenn Fragen auftauchen, auf die ich in mir Antworten spüre, oder sich Ungleichgewichte zeigen, die sich nicht von selbst zu lösen scheinen, dann stelle ich meine Antworten und Impulse der aufstellenden Person und ihrer Aufstellung zur Verfügung und überlasse es anschließend wieder ihr, wie sie ganz autonom mit meinen Antworten umgehen möchte. Solange sie keine weitere Frage hat und sich kein weiteres Ungleichgewicht aufrechterhält, zu dem ich eine Idee spüre, bin ich wieder überflüssig.
Deswegen nenne ich die Form der Aufstellungen, die ich für sehr geringe Teilnahmegebühren organisiere und begleite: "Das freie Aufstellen".
 
Aus dieser Grundhaltung heraus kann ich verstehen, dass Aufstellungsleiter, die für ihre Aufstellungsseminare hohe Gebühren verlangen, es möglicherweise schwer haben, sich selbst grundsätzlich als überflüssig zu sehen. Es könnte der Konflikt auftauchen: "Wenn ich eigentlich gar nicht nötig bin und die Aufstellungen das Potenzial besitzen, für sich selbst zu sorgen, wofür werde ich dann noch bezahlt?" Ist ein Aufstellungsleiter, der hoch bezahlt wird, nicht automatisch in der Pflicht, etwas zum Ausgleich zu leisten? Und werden durch diese Pflicht des Leiters den Freien Aufstellungen nicht auch gleichzeitig "Grenzen" gesetzt? Könnte es sein, dass diese Pflicht oft als "Verantwortung" missverstanden wird?
Ich behaupte: Der Preis für das Verlangen hoher Gebühren ist die Begrenzung des oben aufgezeigten Potenzials zur freien Selbstentfaltung. Nur wer bewusst absichtlich innerhalb dieser Begrenzung arbeitet und gleichzeitig die Möglichkeit der Entgrenzung anerkennt, ohne sie zu wählen (die Kraft des Nichtgewählten in das Gewählte fließen lassen), kann sein eigenes Potenzial innerhalb dieser selbstgewählten Grenzen voll entfalten. Doch das freie Aufstellen zulassen und sich selbst als überflüssig erleben könnte in solch einem Rahmen schwer fallen.
 
Das freie Aufstellen findet bei mir in kostenlosen Wochenend-Workshops statt, die auf Spendenbasis angeboten werden, und in Kurzworkshops (regelmäßig mittwochs 3 Stunden), die 12,- Euro Eintritt kosten.
Kann ich von dem Organisieren solcher Workshops leben? Nein. Aber ich lebe in ihnen und zahle gerne dafür den Preis, den es mich kostet. Denn ich kann mich dort - umgeben von genialen Impulsen des Universums - selbst immer weiter entfalten.

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Reaktionsschreiben auf den Artikel von Antje Jaruschewski "Umsonst ist nichts ... " in "Systemische Aufstellungspraxis" Heft 1/2006

25.4.2006 (veröffentlich in Heft 3/2006, "Systemische Aufstellungspraxis" unter dem von der Redakteurin A.Jaruschewski veränderten Titel "Das freie Aufstellen - eine Klärung")

Missverstanden
Das freie Aufstellen ergänzt
Klärung zu den beiden Artikeln Heft 1/06 "Potenzial zur Selbstentfaltung" und "Umsonst ist nichts" 
 
Liebe Antje Jaruschewski,
im Heft 1/06 schrieben Sie einen Artikel als Erwiderung auf meinen Artikel. Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit ergreifen, Missverständnisse zu klären, und dadurch meine Person - und damit auch das 2002 von mir ins Leben gerufene Freie Aufstellen - wieder in ein stimmiges Licht rücken. Natürlich frage ich mich, was ich getan oder gelassen habe, so dass mein Artikel missverstanden wurde. Und so möchte ich nun an dieser Stelle meine Ungleichgewichte wieder ausgleichen.
Sie haben sich gefragt, worum es in meinem Artikel geht. Daraufhin haben Sie sich selbst eine Antwort gegeben

(Anmerkung: Dieser folgende kurze Absatz wurde nicht veröffentlicht:)
und als Redakteurin des Heftes meinem Artikel eine Nebenüberschrift gegeben, die nicht von mir stammt und auch nicht mit mir abgesprochen war: "Sind Aufstellungsleiter überflüssig, dürfen Aufstellungen etwas kosten? Engt diese Weltsicht ein?"

Ich verstehe, dass mein Artikel provoziert und dass ich nicht dafür gesorgt habe, die mögliche Provokation zu verhindern. Ich habe den Wunsch, dass Aufstellungsleiter darüber nachdenken, dass es im großen Spektrum der Aufstellungen auch einen Bereich gibt, der oft übersehen, vielleicht auch gering geachtet wird. Mein Anliegen war, das Ausgeschlossene mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Was empfinde ich oft als ausgeschlossen? Die Tatsache, dass Teilnehmer manchmal (nicht immer!) durchaus in der Lage sind, allein mit Hilfe der Stellvertreter ihre Aufstellung vollständig selbst zu leiten. Der sogenannte "blinde Fleck" eines Menschen ist nicht immer hinderlich, aus eigener Kraft auf neue Lösungen zu stoßen. Manchmal genügt mir in meiner eigenen Aufstellung die Rückmeldung eines Stellvertreters und mir wird etwas lösend klar. Dazu brauche ich keinen Aufstellungsleiter.
Doch diese Erfahrung bedeutet nicht, dass Aufstellungsleiter generell keine Rolle spielen. Und natürlich "dürfen" aus meiner Sicht Aufstellungen etwas kosten. Ich wollte nicht beweisen, dass es generell überflüssig ist, für Aufstellungen Geld zu verlangen. Ich wollte auch nicht beweisen, dass Honorare generell einschränkend auf die persönliche Entwicklung von Aufstellungsleitern oder Teilnehmern wirken. Sie haben es selbst auf meiner homepage (www.in-resonanz.net) entdeckt: Ich nehme für meine kleine Ausbildung zum Moderator für Freie Systemische Aufstellungen eine angemessene Teilnehmergebühr. Auch für meinen Musikunterricht und meine musikalischen Tätigkeiten nehme ich ein angemessenes Honorar. Ich halte es für sinnvoll, dass ausgebildete Therapeuten und Aufstellungsleiter für ihre Arbeit und für ihren Einsatz mit den Aufstellungen einen notwendigen Ausgleich verlangen. Wieso sollte ich also etwas gegen Geld haben? Schade, dass sie den von Ihnen entdeckten Widerspruch als den meinigen gedeutet und nicht Ihre eigene Sichtweise hinterfragt haben, ob ich tatsächlich Geld als "schlecht" einstufe.
Habe ich behauptet, dass das Entgegennehmen von Geld Bewusstseinserweiterungen einschränken würde? Wenn ich so etwas behauptet hätte, würde ich mich ja selbst in meinem Wunsch nach Entfaltung gleichzeitig bekämpfen, wenn ich nur einen einzigen Geldschein entgegennähme. Dies klingt recht unrealistisch. Ich wollte mit meinem Artikel den Blick auf einen ganz speziellen Fall lenken: Das Entgegennehmen von viel Geld ("hohen" Gebühren - ich bleibe bewusst in dieser Formulierung unklar, denn "hoch" ist eine subjektive Einschätzung aus dem jeweiligen Gewissen und sollte in dem Zusammenhang auch so bleiben) beim Begleiten einer völlig selbstständig und frei ablaufenden Aufstellung könnte im Aufsteller selbst zu einem Konflikt führen, und der lautet: "Wofür werde ich hier eigentlich bezahlt, wenn der aufstellende Teilnehmer und seine Stellvertreter alles selbst machen und ich in diesem Prozess völlig überflüssig bin?" Und dieser Konflikt will erst einmal bewältigt werden. Wer ein langes Aufstellungswochenende organisiert, in dem die Teilnehmer ihre Aufstellungen selbst leiten und die Aufstellungen alle selbstständig ablaufen, er selbst als Moderator lediglich organisiert, wer wie lange aufstellen darf und wann Pause gemacht wird, aber ansonsten kaum mehr Impulse in die Aufstellungen gibt wie alle anderen Teilnehmer auch, dafür aber von jedem Teilnehmer eine Gebühr von z.B. 180,- Euro erhält und dabei ganz ehrlich absolut keinen inneren Konflikt erlebt, von dem möchte ich lernen. Ich möchte von ihm wissen, wo er speziell in dieser Situation das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen sieht.
Die Spenden, die ich an meinen kostenlosen Aufstellungswochenenden zu Hause in unserem Wohnzimmer (keine Raummiete) erhalte, decken meine Unkosten. Mehr nicht. Und der Ausgleich von Geben und Nehmen spielt sich während des gesamten Wochenendes zwischen allen Teilnehmern ab - inklusive mir (ich stelle auch ab und zu mal auf). Für mich ist es das perfekte Gleichgewicht - wohlgemerkt im Blick auf das wirklich "freie" Aufstellen! Wenn ich allerdings lehre und meine Erfahrungen ständig gefragt sind, wünsche und erwarte ich natürlich ebenso wie andere einen entsprechenden Ausgleich für meinen Einsatz.
Ich bestätige Sie: In manchen Fällen sind geführte Aufstellungen sinnvoll, in anderen Fällen das freie Aufstellen. Die Teilnehmer wählen selbst, ob sie eine freie Aufstellung möchten - und kommen zum kostenlosen freien Aufstellen, oder sie wählen das geführte Aufstellen und kommen zum gebührenpflichtigen und betreuten Aufstellen. Das eine schließt das andere nicht aus. Ich behaupte nur, und meine Behauptung kann jeder überprüfen, es ist keine Wahrheit: Das freie Aufstellen verläuft meines Erachtens nur wirklich frei, wenn nicht einmal per Honorarzahlung ein Leiter existiert.
Dazu kann ich eine Erfahrung aus meinem Musikstudium berichten: Mein Dirigierlehrer erwartete oft im Unterricht von mir, dass ich als Dirigent ihm gegenüber selbstsicher, eigenständig und klar auftreten sollte. Ein Dirigent müsse selbstbewusst führen. Erkennen Sie hier das Paradox? Ein Mensch führt mich und verlangt gleichzeitig, ich solle führen. Wie geht das? Erst als ich vor meinem eigenen Chor stand und mein Dirigierlehrer nicht anwesend war, konnte ich sofort vollständig die Rolle des führenden Dirigenten übernehmen. Ich war selbstsicher und klar und konnte mich in dieser Rolle frei entfalten. Dazu nutzte ich alle meine Erfahrungen mit meinem Lehrer. Mein Lehrer selbst hat mich jedoch nie von dieser Seite erlebt.
Ein weiteres Phänomen in Aufstellungen ist an dieser Stelle wichtig: Wenn ein Stellvertreter ein Gefühl hat, z.B. eine Angst, und man sucht für dieses Gefühl einen weiteren Stellvertreter aus und stellt ihn als "Angst" in die Aufstellung, dann verschwindet meistens das Angstgefühl im ersten Stellvertreter. Es wurde personifiziert. Franz Ruppert bedient sich in seinen Aufstellungen sehr oft dieses Phänomens und stellt ein Gefühl nach dem anderen ins Bild, um die aufstellende Person so lange zu entlasten, bis sich eine endgültige Lösung ergibt. Manchmal stehen so am Ende über 20 Gefühls-Stellvertreter in der Aufstellung - und der aufstellenden Person geht es endlich gut.
Oder schauen Sie auf die Kinder-Dynamik, die wir Erwachsene auch oft in uns tragen: Erst wenn die Eltern nicht mehr hinschauen, haben die Kinder den Impuls, etwas von den Eltern Gewünschtes zu erledigen. Solange die Eltern schauen und in gewisser Weise "kontrollieren", tun sie es nicht (um nicht ihr Gesicht zu verlieren) oder nur mit wenig Energie.
Ergo hat jemand meistens erst dann die volle Energie, seine eigene Aufstellung selbst vollständig zu leiten, wenn es keine andere Person mehr gibt, die in gewisser Weise die Leitungsfunktion vertritt. Dann ist die Option zum Selbstleiten und zur Selbstentfaltung außerhalb jeglicher Anleitung oder Begleitung vollständig vorhanden. Für diese Option darf meiner Erfahrung nach vorher keine Person eine Gebühr für Ihren Einsatz verlangt haben, denn sonst "rutscht" sie dadurch automatisch und konstant in die Rolle des "Leiters" (so wie mein Dirigierlehrer konstant in der Rolle des Lehrers war). Als achtungsvoller Schüler würde ich mich nie über meinen Lehrer erheben, als achtungsvolles Kind würde ich mich nie über meine Eltern erheben, als achtungsvoller Teilnehmer würde ich mich nie wagen, mich leitend in der Rangfolge über den Aufstellungsleiter zu stellen, den ich vorher bezahlt habe. Ich betone noch einmal: Diese Ausführungen beziehen sich nur auf die Möglichkeit des vollständig freien (= eigenbestimmten) Aufstellens. Beim geführten Aufstellen ist ein anderer Rahmen, sind andere Regeln, Rangfolgen, Qualitäten und Möglichkeiten vorhanden, denen ich genauso zustimme und sie für wichtig und gut halte. Dort ist Hilfe, Unterstützung, Verantwortungsübernahme, Fürsorge, Know-how gefragt. Innerhalb dieses Unterstützungsrahmens kann sich viel lösen, können Schritte gegangen werden. Doch der Schritt zur vollständigen Selbstständigkeit gelingt meines Erachtens nur dadurch, dass man sich auch tatsächlich in die Selbstständigkeit bewegt und die bisher hilfreichen Krücken ablegt. Sind diese Krücken jedoch mit wertvollen Diamanten besetzt und hat man einen hohen Preis dafür bezahlt, dann behält man sie oft noch ein bisschen länger, auch wenn man sie eigentlich gar nicht mehr braucht.
Verantwortung und Fürsorge gegenüber anderen Menschen sind in vielen Fällen wichtige, nötige und hilfreiche Ressourcen. Das nutze ich auch selbst beim Begleiten von Aufstellungen sowie beim Unterrichten von Musikschülern. Wenn aber eine Aufstellung die Tendenz hat, sich selbstständig entwickeln zu können, ein Aufstellungsleiter jedoch meint, hier immer noch eine gewisse Verantwortung oder Fürsorge für den Aufstellungsablauf oder den Teilnehmer zu tragen und seine eigene "Überflüssigkeit" in diesem Fall nicht integrieren kann, dann wirkt dies auf die Aufstellung und ihre freie "Selbstentfaltung" unter Umständen hinderlich.
Warum dauert meine Ausbildung zum Moderator für Freie Systemische Aufstellungen insgesamt nur 30 Stunden? Weil es im Wesentlichen darum geht, das Vertrauen zu erlangen, nichts tun zu müssen und keine Verantwortung für andere zu tragen (natürlich nur die Verantwortung für das eigene Handeln, selbstverständlich!). Alles übrige, was ich in der Ausbildung anbiete, sind meine persönlichen Erfahrungen, wie man Aufstellungen noch unterstützen könnte, wenn man es möchte, doch das gehört nicht zur generellen Tätigkeit des "freien" Moderators. Wenn ich mein erlerntes Wissen als Moderator doch mal mit einbringe, ist das meine ganz persönliche Entscheidung und verlangt keinen Ausgleich. So geht es jedem Teilnehmer. Jeder bringt sich selbst ein, steht als Stellvertreter zur Verfügung und erhält als Ausgleich die Erfahrung der Teilnahme - wohlgemerkt nur beim freien Aufstellen.
Zum Thema "Verantwortung" kann ich am Ende eigentlich nur eines ergänzen: Das Hauptproblem der Missverständnisse in diesem Bereich liegt darin, wie jeder Einzelne den Begriff "Verantwortung" definiert. Was ist eigentlich Verantwortung ganz genau? Und was meinen wir damit? Ich habe meine Definition in dem Buch "Das freie Aufstellen - Gruppendynamik als Spiegel der Seele" dargelegt (S. 156 ff) und auch als Buchauszug auf meiner homepage veröffentlicht.
Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, mich und meine Erfahrungen noch einmal nachträglich genauer zu erklären. Ihnen und Ihrer Leserschaft wünsche ich weiterhin viele wichtige und anregende Erfahrungen mit dem Aufstellen und dem Austausch darüber.
Mit herzlichen Grüßen
Olaf Jacobsen



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Veröffentlicht in "Systemische Aufstellungspraxis"  Heft 1/2007

Frei ist nicht gleich frei
Was meint eigentlich "das Freie Aufstellen"?
Über den Unterschied zwischen Bewegungen der Seele, autopoietischem Aufstellungsverlauf und freier Aufstellungsarbeit
 
Autor: Olaf Jacobsen

In vielen Gesprächen mit unterschiedlichsten Personen, die sich mit Aufstellungen beschäftigen, habe ich erfahren, dass der Begriff "frei aufstellen" sehr variabel und mit verschiedenen Hintergründen benutzt wird. Gleichzeitig erlebe ich, wie die von Bert Hellinger gefundenen "Bewegungen der Seele", die von Siegfried Essen beschriebene "autopoietische Aufstellungarbeit" und das von mir begründete "Freie Aufstellen" in einen Topf geworfen werden. Im Folgenden zeige ich Unterschiede dieser drei Formen auf. Dabei stütze ich mich auf das Video "Bewegungen der Seele" mit Bert Hellinger und Johannes Neuhauser aus dem Jahr 2001, meinen direkten Beobachtungen seiner Arbeit während der Arbeitstagungen, dem Artikel "Autopoietische Aufstellungsarbeit" von Siegfried Essen in "Praxis der Systemaufstellung" Heft 2/2003 (Zitate daraus s.u.) und seinem Vortrag auf dem 5. Internationalen Kongress für Systemische Aufstellungen 2005 in Köln. Über "Freie Systemische Aufstellungen" kann ausführlich nachgelesen werden in meinem Buch "Das Freie Aufstellen - Gruppendynamik als Spiegel der Seele" (Karlsruhe, 2003). Mir ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass ich die Formen von Hellinger und Essen nicht ausführlichst studiert habe. Daher ist meine Darstellung auf jeden Fall unvollständig. Sie beschränkt sich auf die wesentlichen Unterschiede, die ich den oben genannten Quellen entnehmen kann (ich schließe nicht aus, dass die Formen sich inzwischen verändert haben). Je klarer man selbst unterscheiden kann, desto gezielter kann man auch die Vorzüge jeder einzelnen Richtung nutzen.
 
Die Rolle des Aufstellungsleiters
- bei den Bewegungen der Seele (BwdS): Bert Hellinger führt ein Gespräch mit der aufstellenden Person über das aufzustellende Thema. Er entscheidet, welche Elemente für die Aufstellung ausgewählt werden. Er gibt den Stellvertretern im Gegensatz zum traditionellen Familienstellen den Freiraum, sich gesammelt zu bewegen und ihren inneren Impulsen einfach zu folgen. Wenn er selbst einen Impuls hat, ergänzt er die Aufstellung durch Interventionen. Er bestimmt mit seinen Erfahrungen und Sichtweisen den Rahmen der Aufstellung und hat in diesem Punkt Vorrang vor der aufstellenden Person.
- in der Autopoietischen Aufstellung (ApA): Siegfried Essen vermittelt den Teilnehmern, in welchem Rahmen eine ApA abläuft. Er ermuntert die Repräsentanten der Aufstellung, frei zu sein, etwas auszuprobieren. Er erinnert sie im Laufe der Aufstellung daran, wie frei sie wirklich sind und was für Verhaltensmöglichkeiten die Repräsentanten noch ausprobieren können, wenn sie in scheinbaren Verhaltensgrenzen verharren. In seinem Artikel sieht er sich selbst als Leiter, der großes Vertrauen in die Ganzheit des Systems hat. "Eine solche Haltung zeigt sich durch eine Haltung von Geduld und Zurückhaltung des Leiters sowie durch paradoxe Anweisungen, die die Freiheit und Selbstmächtigkeit der Repräsentanten herausfordern." Auch hier bestimmt der Aufstellungsleiter den Rahmen und hat damit Vorrang vor der aufstellenden Person.
- beim Freien Aufstellen (FrA): Die aufstellende Person, die an ihrem Thema arbeitet, ist der Aufstellungsleiter und befindet sich somit selbst in der Rangfolge auf Platz 1. Sie ist frei, die Form und den Ablauf ihrer eigenen Aufstellung selbst zu bestimmen. Sie ist frei, den Repräsentanten Grenzen zu setzen oder sich frei bewegen zu lassen. Sie geht mit ihrer eigenen Aufstellung ganz selbstständig um. Sie ist frei in der Entscheidung, ob sie die Repräsentanten und die beobachtende Gruppe als Berater nutzt. Sie ist auch frei zu entscheiden, ob jemand aus der Gruppe zeitweise oder vollständig die Leitung der Aufstellung übernimmt.
Hintergrund: In Organisationen spiegeln sich in den meisten Fällen die (Un)Gleichgewichte der Chef-Ebene, Kinder - solange sie zu Hause den Eltern zur Verfügung stehen - spiegeln in ihrer Verhaltensdynamik die (Un)Gleichgewichte ihrer Eltern, etc. Diese Erfahrungen im Alltag werden für das Freie Aufstellen genutzt: In dem Verhalten der Stellvertreter spiegeln sich die (Un)Gleichgewichte der Leitungs-Ebene. Also befindet sich der Teilnehmer selbst auf der entscheidenden und bestimmenden Position.
 
Die aufstellende Person
BwdS: Sie bringt ihr Thema mit und vertraut sich dem Aufstellungsleiter an. Sie ordnet sich den Impulsen und Entscheidungen des Aufstellungsleiters unter.
ApA: Sie bringt ihr Thema mit und vertraut sich dem Aufstellungsleiter an. Sie ordnet sich der autopoietischen Aufstellung unter.
FrA: Sie bringt ihr Thema mit und nutzt die Gruppe, um es selbstständig frei aufzustellen. Sie hat Vorrang vor allen und ordnet sich nur dem zeitlichen Rahmen der Aufstellungsveranstaltung und den persönlichen Grenzen der übrigen Teilnehmer unter (z.B. körperliche Aggressionen gegenüber einem anderen Repräsentanten sollten in Rollen nicht ausgelebt werden oder Repräsentanten wollen die Rolle nicht weiter spiegeln und sich aus der Aufstellung zurückziehen). Sie kann frei entscheiden, ob sie die Vorschläge, Ideen, Empfehlungen aus der Gruppe für den Aufstellungsverlauf oder für Lösungen nutzt oder nicht.  
 
Die Repräsentanten einer Aufstellung
In allen drei Aufstellungsformen ordnen sich die Repräsentanten der Leitung unter und stehen zur Verfügung. Dabei ist ihre Aufgabe, sich einzufühlen, die wahrgenommenen Gefühle mitzuteilen und den inneren Bewegungsimpulsen zu folgen.
Kleine Unterschiede:
BwdS: Die Repräsentanten sind aufgefordert, ihren Gefühlen möglichst gesammelt und langsam zu folgen. Dabei sollte wenig selbstständig gesprochen werden. Sie nehmen Rücksicht auf die Impulse des Aufstellungsleiters.
Hier gleichen sich ApA und FrA: Sie sind aufgefordert, möglichst frei allen kreativen Impulsen zu folgen, auszuprobieren, zu reden, ihre Erfahrungen zu machen ... Sie lassen sich bei unbewussten Hemmungen durch die einladenden Impulse des Aufstellungsleiters oder der aufstellenden leitenden Person befreien, und werden gleichzeitig gebeten, eventuell vorhandene Widerstände zum entsprechenden Leiter mitzuteilen. Sie nehmen auf alle Wünsche, Impulse und Grenzziehungen der leitenden/aufstellenden Person Rücksicht ("Rücksicht nehmen" heißt nicht, dass sie die Wünsche erfüllen müssen, sondern: sie berücksichtigen und ihnen einen Vorrang einräumen). Sie sollten jederzeit eigenverantwortlich für sich selbst schauen, ob es sich noch stimmig anfühlt, weiter an der Aufstellung teilzunehmen und zur Verfügung zu stehen oder sich daraus zurückzuziehen (ein Rückzug von Repräsentanten - z.B. aus Protest oder Unlust - oder ein Gehen von Teilnehmern aus dem Raum kann für die momentan aufstellende Person ein wichtiger Spiegel sein, aus dem sich neue Erkenntnisse für einen lösenden Entwicklungsprozess gewinnen lassen). Bei der ApA werden die Repräsentanten in ihren autonomen Aktionen seltener unterbrochen. Beim FrA werden sie von der aufstellenden Person ab und zu stärker und ausführlicher "genutzt" und mehr mit ihnen experimentiert, immer auf dem Hintergrund, dass sie jederzeit wieder frei ihren Impulsen folgen dürfen.
 
Die beobachtenden Gruppe
Hiermit sind all diejenigen Teilnehmer gemeint, die weder die Aufstellung initiiert haben noch als Repräsentanten mitwirken.
BwdS: Die Gruppe beobachtet schweigend, achtsam und mitfühlend. Sehr selten werden Impulse und Gefühle aus der Gruppe aufgegriffen und integriert, z.B. indem die momentan auftauchende Unruhe der Zuschauer reflektiert und darauf reagiert wird. Die Gruppe wird manchmal gebeten, aufmerksam die Energie zu halten und nicht abzulenken.
ApA: Teilnehmer aus der Gruppe können ihre Gefühle mitteilen und werden oft in die Aufstellung integriert, indem sie durch ihre Äußerungen zum Repräsentanten werden.
FrA: Grundsätzlich heißt es: "Alles gehört dazu." Auch die Gruppenmitglieder dürfen sich genau wie die Repräsentanten von Anfang an frei verhalten. Sie dürfen allen Impulsen folgen, auch denen, die scheinbar nicht zur Aufstellung gehören (reden, auf die Toilette gehen, Handy klingeln lassen, laut telefonieren, ständig Plätze wechseln, essen, ...). Und sie dürfen alle ihre Erfahrungen, Ideen, Intuitionen, Interventionen zur Aufstellung mitteilen oder darüber diskutieren. "Dürfen" heißt nicht immer, dass sie es auch tun. Es besteht aber jederzeit die Möglichkeit dazu. So bleibt gewährleistet, dass die aufstellende Person sich von der gesamten Gruppe spiegeln und beraten lassen kann (wenn sie es möchte) und kein in der Gruppe vorhandener Impuls übersehen oder verschwiegen wird. Alle Teilnehmer arbeiten offen zusammen. Sollte ein Chaos ausbrechen, was trotz dieser offenen Möglichkeit meiner Erfahrung nach selten geschieht, kann es ebenso als Spiegel für die momentane Ausstrahlung der aufstellenden Person genutzt werden.
Oft wird auch die Erfahrung gemacht, dass sich in dem Reichtum aller Impulse (= scheinbares Chaos) die entscheidenden Muster im Laufe der Zeit durch Wiederholungen oder Dringlichkeiten herauskristallisieren - und dann auch direkt reflektiert und erlöst werden können. Auch für die Gruppe gilt, auf alle Wünsche, Impulse und Grenzziehungen der aufstellenden leitenden Person Rücksicht zu nehmen. Sie sind - wie die Repräsentanten - der leitenden aufstellenden Person untergeordnet. Die aufstellende Person kann z.B. jederzeit einem scheinbaren Chaos in der Gruppe eine Grenze setzen und mitteilen, worauf sie sich gerade konzentrieren möchte, alle anderen Impulse sollen bitte momentan unterdrückt werden. Und deshalb ist es auch für die Gruppenmitglieder wichtig, für sich selbst zu sorgen und sich im schlimmsten Fall aus der Veranstaltung eigenverantwortlich zurückzuziehen, wenn man sich in dem momentanen Rahmen der aufstellenden Person nicht wohl fühlt.
 
Mögliche Folgen der jeweiligen Aufstellungsform:
BwdS: In der Aufstellung kommen durch die Sammlung der Repräsentanten tiefe Gefühle zum Vorschein. Das Thema kann fast zuverlässig in einem geborgenen und verantwortungsvollen Rahmen "tief und wirkungsvoll" bearbeitet werden. Alle Beteiligten und Beobachter können dies spüren und sind intensiv berührt.
ApA: In der Aufstellung kommen durch die Freiheit der Repräsentanten viele kreative Impulse zum Vorschein. Das "Ganze" eines Systems rückt mehr in den Mittelpunkt. Die Autopoiese lebender Systeme wird deutlicher und hilft, den Alltag inklusive des in der Aufstellung gefundenen neuen Gleichgewichtes klarer zu integrieren. Ebenso wird die neue Erfahrung der Handlungsfreiheit in Stellvertreterrollen als essenziell erfahren. In dieser Freiheit "entfaltet sich allmählich die Dynamik der Selbstschöpfung des Einzelnen in der Auseinander- und Zusammensetzung mit den anderen Teilen des Systems und mit dem Ganzen." Dies kann intensiv und lösend berühren und zu wirkungsvollen Erkenntnissen und Lösungen führen.
FrA: Für die aufstellende Person ist theoretisch alles möglich. Der Rahmen für die Aufstellungsform hängt immer von den momentanen Wünschen der aufstellenden Person, von ihren inneren Haltungen, ihren Zielen, ihren Grenzen, ihrem Wissen über und ihren Erfahrungen mit Aufstellungen und ihrem momentanen Zustand ab. Das Spektrum an Aufstellungsformen ist aufgrund der freien Entscheidung der aufstellenden Person unendlich und reicht von oberflächlicher unangenehmer und scheinbar nicht lösender kurzer Aufstellung ... über Aufstellungen, in denen weniger gefühlt als viel mehr diskutiert wird ... über witzige lustige Theaterstückchen mit niedlichem Happy End ... über schmerzhafte Auseinandersetzungen in der Gruppe ... bis hin zur tiefen emotionalen Lösung durch eine intensive Versöhnung, wie wir sie aus dem Familienstellen kennen. Auch kann von der aufstellenden Person immer gewählt werden, ob die Aufstellung in einer Form der traditionell geführten Familien-, Organisations- oder Strukturaufstellung, Bewegungen der Seele, autopoietisch oder selbstgeführt ablaufen soll. Die Freie Aufstellung bietet daher einen allumfassenden Spiegel, der sehr unterschiedlich und ganz frei genutzt werden kann. Und auch die Wirkung ist äußerst variabel und reicht von "absolut keine Wirkung" bis hin zur "tiefen seelischen und dauerhaft lösenden Veränderung". Meine Beobachtung: Es passiert immer genau das, was gerade "dran" ist. Es gibt nichts Falsches oder Störendes; alles gehört dazu und kann als Spiegel genutzt werden.
 
Resümee
Der entscheidende Unterschied des von mir begründeten Freien Aufstellens zu allen anderen freien Formen ist also: Beim Freien Aufstellen bezieht sich der Begriff der Freiheit nicht auf das freie Verhalten der Repräsentanten, sondern es geht um die freie Wahl der aufstellenden Person. Da man hier absolut jede Aufstellungsform wählen kann, integriert das Freie Aufstellen automatisch alle anderen Aufstellungsformen. Natürlich bleibt der Rahmen des Freien Aufstellens gleichzeitig abhängig von demjenigen, der es organisiert und von der Zusammensetzung der Gruppe, ihrem Wissen und ihren Erfahrungen bezüglich der allgemeinen Aufstellungsarbeit. Ich behaupte nicht, dass die Personen, die Freies Aufstellen anbieten, alle Erfahrungen, alles Wissen besitzen und alles integrieren können. Es ist allein die freie Form, die alle anderen Formen integriert, da hier alles gewählt werden kann. Aus diesem Grund bietet diese freie Form für angehende Aufstellungsleiter auch ein optimales Lernfeld. Man kann das Freie Aufstellen selbstständig organisieren und moderieren, ohne Professionalität und Qualität bieten zu "müssen" - ideal für diejenigen, die sich als zukünftige professionelle Aufstellungsleiter durch praktische Erfahrungen mit Aufstellungen selbst weiterbilden und so allmählich ins Feld hineinwachsen möchten.
 
Die allumfassende (Wahl-)Freiheit
Am eindrucksvollsten habe ich dies in einem Seminar erlebt, das ich zusammen mit Bettina Winter (Hamburg) Anfang 2005 gegeben habe. Ich war eingeladen, das Freie Aufstellen ihren Teilnehmern, die eher ihr geführtes Aufstellen kannten, vorzustellen. Ein Wochenende lang berichtete ich über die mir bewussten Sichtweisen und Möglichkeiten des Freien Stellens und "führte" die Teilnehmer praktisch ein. Am letzten Tag durften die aufstellenden Teilnehmer wählen, ob sie von Bettina - wie gewohnt - geführt werden, ob sie nur von mir beraten werden, ob Bettina und ich zusammen die Aufstellung begleiten sollten oder ob sie ihre Aufstellung vollkommen allein ohne helfende Impulse von außen untersuchen und selbst leiten wollten. Während dieses Tages wurde von den Teilnehmern jede Möglichkeit mindestens einmal gewählt. Und wir erlebten die faszinierende Vielfalt. Weil sich hier zwei Welten (Bettinas und meine) mit unterschiedlichen Erfahrungen und Angeboten trafen und die Teilnehmer jederzeit die Wahl hatten, wie sie diese beiden Welten nutzen wollten, entstand allein durch die Entscheidungen der Teilnehmer eine neue Welt. Wir alle waren darin staunende Gäste.
Weil die Teilnehmer zwischen Bettina als Leiterin und mir als Moderator des Freien Stellens wählen konnten, hatten sie damit auch die Wahl zwischen dem geführten und dem Freien Aufstellen? Nein, sie stellten alle die ganze Zeit frei auf, denn sie hatten jederzeit die freie Wahl, in welcher Form, in welchem Rahmen, mit welcher Begleitung sich ihre Aufstellung bewegen sollte. Bettina und ich richteten uns nach der freien Entscheidung eines jeden Teilnehmers, standen jeder Wahl zur Verfügung, waren (trotz unserer Erfahrungen als Therapeutin/Moderator) immer "zweitrangig" und stellten uns damit vollständig der Ganzheit der aufstellenden Person in den Dienst. Die aufstellende Person blieb erstrangig und bestimmend. Das ist der Kern des sogenannten "Freien Aufstellens".
 
Test
Wenn ich eine von jemand Anderem organisierte Aufstellungsveranstaltung besuche und die Frage stelle: "Darf hier die aufstellende Person jederzeit spontane Wünsche äußern und um Durchführung bitten, neugierig Experimente mit den Repräsentanten einleiten oder sich schützend den Repräsentanten und der gesamten Gruppe Grenzen setzen, - ohne einen Widerspruch zu ernten, ohne über eine negative Wirkung belehrt zu werden und ohne die spiegelnde Unterstützung der Gruppe zu verlieren?" und die Antwort lautet darauf: "Es hat keinen Raum oder könnte Komplikationen auslösen oder ist aus anderen Gründen nicht zu empfehlen", dann entspricht nach meiner Definition die angebotene Aufstellungsform nicht wirklich der Freien Aufstellung. Nur wer den Raum hat, jederzeit und ohne Abwertungen Anderer seine eigene Aufstellung so zu nutzen, wie er selbst es gerade möchte, ist in diesem hier dargestellten Sinne "frei".


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Veröffentlicht in "Matrix3000"  Heft Jan/Feb 2008

Verstrickte Gefühle
Familienstellen hilft
 Autor Olaf Jacobsen

Wie kann ein einziger kleiner Satz dazu führen, dass Gefühle sich grundlegend ändern, unangenehme Körpersymptome sich beenden und eingefahrene Überzeugungen sich schlagartig wandeln? Das Buch „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung“ ist innerhalb kürzester Zeit zum Bestseller geworden. Warum fühlen sich so viele Menschen durch diesen Titel angesprochen?

Alles ist eins
Immer öfter liest und hört man, dass die Welt „eins“ ist. Durch eine „Matrix“ sei alles miteinander vernetzt, untrennbar, eine Einheit. „Fehler in der Matrix“ (das Buch von Grazyna Fosar und Franz Bludorf) zeigt dazu faszinierende Zusammenhänge und liefert Indizien für die Allverbundenheit unseres Universums. Die wissenschaftlichen Interpretationen von Quantenphänomenen deuten darauf hin, dass alle scheinbar voneinander getrennten Elemente und Wesen über ein Informationsfeld in Verbindung stehen. Doch das ist eine Sichtweise, deren Folgen sich zwar immer wieder erleben lassen, die sich aber nie vollständig beweisen lässt. Wenn wirklich alles innerhalb unseres Universums wie in einer Matrix miteinander verbunden ist, dann gibt es nichts, was sich außerhalb dieser Matrix befindet und sie von außen wahrnehmen kann. Alles ist ein Teil von ihr. Deshalb existiert ein blinder Fleck, eine Unvollständigkeit. Buddha sagte: „Man kann den Geist nicht mit dem Geist erforschen“. Und so kann die Matrix auch nicht mit Mitteln dargestellt werden, die Teil der Matrix sind. Selbst der Film „Matrix“ zeigt wunderbar, dass der Held „Neo“ die entscheidenden Erkenntnisse über die Matrix nur erhalten konnte, nachdem er die rote Pille schluckte und auf diese Weise aus der computergenerierten Scheinwelt aufwachte. Im von ihr getrennten Zustand wurde er mit der „Realität“ konfrontiert. Außerhalb der Matrix konnte er sie vollständig realisieren. Ist man mit der Matrix verbunden, mit ihr im „Gleichgewicht“, so kann man sie nicht direkt wahrnehmen. Im absoluten Gleichgewicht verschwindet die Wahrnehmung und damit auch die Beweisbarkeit.
Beim Familienstellen ist die Verbundenheit erlebbar
Es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich mit dem zufrieden zu geben, was man am eigenen Leib oder mit Hilfe von phänomenologischen Experimenten als Folge der Allverbundenheit erfahren kann. Wer sich mit Spiritualität oder Grenzwissenschaften wenig beschäftigt und dem Familienstellen begegnet, ist entweder hoch überrascht von dem, was er dort erlebt, oder er wertet es als ein „abgesprochenes Theaterspiel“ ab und distanziert sich misstrauisch. Mir ist zur Zeit jedoch keine andere Selbsterfahrungs-Methode bewusst, in der die Verbundenheit zwischen Menschen so klar empirisch zum Vorschein kommt.
Viele stehen an dem Punkt, an dem sie sich fragen, welche Konsequenzen die Vernetzung in der Matrix eigentlich in unserem Alltag hat und wie man das Wissen über sie gezielt einsetzen kann. Um darauf Antworten zu erhalten, könnte man genauer beobachten: Was passiert um uns herum? Und wie kann man unseren Alltag mit dem Weltbild der allumfassenden Vernetzung neu verstehen? Wohin führt das neue Verständnis?
Lassen Sie uns das Familienstellen genauer beobachten. Was passiert dort?
Das Phänomen
Besonders in den „Freien Systemischen Aufstellungen“, die ich 2002 ins Leben gerufen habe, sind die Phänomene überdeutlich: Ein Teilnehmer einer Aufstellungsveranstaltung (beim „freien“ Stellen darf jeder mit seiner eigenen Aufstellung frei umgehen und experimentieren) sucht sich aus der Gruppe einzelne Personen aus, die in einem spontanen Rollenspiel entweder Familienmitglieder, Arbeitskollegen oder Partner darstellen sollen. Auch abstrakte Elemente, wie z.B. das neue Auto, die eigene Wohnung, der Arbeitsplatz oder Gefühle wie bestimmte Phobien, Wut, Unruhe, Schlaflosigkeit können mit Hilfe von Stellvertretern personifiziert werden. Die ausgewählten Gruppenmitglieder stellen sich als Stellvertreter zur Verfügung, fühlen sich in die ihnen zugeteilte Rolle ein, und folgen während der gesamten Aufstellung den Gefühlen und Handlungsimpulsen, die in ihnen entstehen. So entwickelt sich ein über Intuitionen gesteuertes Rollenspiel. Das Unglaubliche daran ist: Der aufstellende Teilnehmer teilt den Gruppenmitgliedern nicht mit, wen oder was sie überhaupt vertreten. Er stellt es sich lediglich in Gedanken vor. Kein anderer ist in die Problematik eingeweiht. Keiner aus der Gruppe weiß, was hier von den Stellvertretern dargestellt wird – und auch die Stellvertreter haben keine Ahnung. Sie folgen einfach ihrem Gefühl. Überdurchschnittlich häufig wird vom aufstellenden Teilnehmer mitgeteilt, dass das Verhalten der Stellvertreter ziemlich genau der Problematik entspricht, die er in diesem Zusammenhang aufgestellt hat. Die Stellvertreter verhalten sich oft den Personen oder Elementen entsprechend, die sie vertreten – ohne auf der bewussten Ebene irgendwelche Informationen erhalten zu haben.
Resonanzen überall
Dieses Phänomen tritt so zuverlässig auf, dass ich mir überlegt habe, ob es auch in unserem Alltag wiederzuentdecken ist. Je öfter ich mir diese Frage stellte, desto bewusster wurde mir ein Zusammenhang: Immer, wenn wir Menschen uns zur Verfügung stellen, gehen wir mit unserem Umfeld besonders intensiv in Resonanz. Dadurch entstehen in uns entsprechend „wahrnehmende Gefühle“. Analysieren wir diese Gefühle genauer und vergleichen sie mit unserem Umfeld, so können wir erkennen: Unsere Gefühle weisen eine erstaunlich klare Übereinstimmung mit den energetischen oder psychischen Strukturen unseres Umfeldes, unserer Mitmenschen oder unseres momentanen Gesprächspartners auf. Sie enthalten Informationen über die Person oder die Situation, der wir uns zur Verfügung gestellt haben. Wenn wir uns dann selbst sagen „Ich stehe dafür nicht mehr zur Verfügung“, verschwinden diese Gefühle wieder. Wie kann man das erklären?
Veränderungswünsche binden uns an die Problemstruktur
In Aufstellungen stellt jemand ein Problem auf, das er gerne lösen möchte. Es existiert in seinem Leben ein unangenehmer Zustand, den er verändern will. Die Basis seiner Handlung ist hier also ein Wunsch nach einer Veränderung. Wenn wir Veränderungswünsche genauer betrachten, erkennen wir: Eine erfolgreiche Veränderung kann genau dann durchgeführt werden, wenn das Problem genügend kennengelernt wurde. Habe ich ein Problem mit meiner Heizung, so sucht der Fachmann zunächst nach der Ursache des Problems, bevor er mit der Reparatur beginnt. Ein Arzt erstellt als erstes eine Diagnose, bevor er heilende Maßnahmen durchführt oder verschreibt. Spiele ich am Klavier etwas falsch, so muss ich genauer hinschauen, was mein Fehler war. Ist das Problem erkannt, kann es auch gebannt werden. Jeder Problemlösung geht ein genaues Kennenlernen des Problems voraus. Und wir können etwas am besten kennenlernen, wenn wir mit unseren Sinnesorganen zu dem Problem eine intensive Resonanz herstellen - mit unseren Augen, Ohren, unserem Tastsinn oder eben auch mit unserem Gefühl. Das ist ein allgemeingültiges Prinzip der Natur. Damit komme ich zurück zum Aufstellen: Wenn ein Teilnehmer einer Seminargruppe ein Problem aufstellen und verändern möchte, stellen sich Menschen als Stellvertreter für diesen Veränderungswunsch zur Verfügung und gehen automatisch (Prinzip der Natur) zu dem Problem eine intensive Resonanz ein, um dadurch zu helfen und es genau kennenzulernen. Aufgrund der Verbundenheit innerhalb unserer Matrix ist diese Resonanz auf der Gefühlsebene möglich. Der Problemzusammenhang beginnt sich in den Gefühlen und Handlungen der Stellvertreter auszudrücken und lässt sich anschließend gezielt „reparieren, korrigieren, heilen“. Ein Stellvertreter, der nicht mehr „mitspielen“ möchte, weil es ihm zu unangenehm wird oder er andere Bedürfnisse hat, sagt: „Ich stehe jetzt nicht weiter zur Verfügung. Sucht bitte jemand anderen für diese Rolle. Ich lege sie nun ab.“ Er geht – und die wahrnehmenden Rollengefühle verschwinden bei ihm sofort.
Anerkennung befreit
Im Alltag sind sich viele Menschen gar nicht bewusst, dass sie durch ihre eigenen Veränderungswünsche oder durch das Sich-zur-Verfügung-Stellen für die Veränderungswünsche eines anderen Menschen eine Resonanz zu dem entsprechenden Problem herstellen. Sie wundern sich und klagen, wenn sie sich in bestimmten Zusammenhängen plötzlich nicht mehr so gut fühlen. Dabei ist das Unwohlgefühl eine einfache Resonanz zu dem Problem, das nach einer Lösung (= Veränderung) strebt. Der Satz „Ich stehe dafür nicht mehr zur Verfügung“ und das anschließende Verschwinden der unangenehmen Resonanzgefühle bestätigen diesen Zusammenhang immer wieder. Dabei ist es wichtig, gleichzeitig auch den eigenen Veränderungswunsch zu entlarven und aufzugeben. Das geschieht am besten, wenn man das, was vorher verändert werden sollte, nun annimmt und so achtet, wie es ist. Aus diesem Grund haben die achtungsvollen Rituale beim Familienstellen und das Würdigen eines Zusammenhangs oft eine befreiende Wirkung für die Beteiligten. Achtet man etwas, wie es ist, so wird ein Hilfs- oder Veränderungswunsch aufgegeben, die Resonanz zu dem Problem wird nicht mehr benötigt und alle damit korrespondierenden Gefühle und auch unangenehmen Körpersymptome verschwinden. Das kann sogar so weit gehen, dass sich im Alltag Verlustängste, Minderwertigkeitsgefühle, Pechsträhnen oder auch bestimmte Krankheiten verbessern oder ganz in Luft auflösen.
Wir haben immer die Wahl

Umgekehrt kann man die Resonanzgefühle im Alltag auch sehr gut nutzen, um die Situation, der man gerade zur Verfügung steht, besser zu verstehen. Man kann helfende Maßnahmen zur Verfügung stellen oder dem Problemträger auf eine Art und Weise Verständnis entgegenbringen, so dass ihm geholfen wird, sein Problem zu lösen.
Wollen wir uns in der Matrix freier als bisher bewegen, so können wir die folgenden beiden „neutralen“ Werkzeuge realisieren und sie unserem momentanen Ziel entsprechend einsetzen. Wir haben immer die Wahl zwischen:
a) „Wunsch nach Veränderung“. Er hat zur Folge, sich mit etwas intensiver zu verbinden, es genauer wahrzunehmen, um es kennenzulernen. Es entstehen wahrnehmende Gefühle in uns, mit deren Hilfe wir etwas gezielt verändern können.
b) „Anerkennen was ist“. Dies hat zur Folge, eine intensive Verbindung loszulassen. Die ganzkörperliche Wahrnehmung dessen tritt mehr in den Hintergrund. Resonanzen werden schwächer und damit verbundene Gefühle verschwinden.
Selbstverantwortung heilt
Wer sich dieser beiden Werkzeuge bewusst ist, hält damit die Lösung für seine eigenen Ungleichgewichte in der Hand und kann nun die volle Verantwortung dafür übernehmen. Man kann jedes Problem aktiv auf eine der folgenden zwei Weisen lösen:
1) Sie lösen es in und mit sich selbst, z. B. mit Hilfe verschiedener psychologischer Selbsthilfetechniken, die in vielen Lebenshilfebüchern zahlreich angeboten werden, oder im Extremfall auch mit professioneller psychotherapeutischer Beratung. Dabei ist es wichtig, sich selbst zu fragen: Welchen (unbewussten) Veränderungswunsch in mir habe ich noch nicht erfüllen oder aufgeben können?
2) Sie suchen nach der Klarheit und Bestätigung, dass das gefühlte Problem absolut nichts mit Ihnen zu tun hat, es also nur eine Wahrnehmung von Ungleichgewichten in Ihrem Umfeld darstellt. Dann können Sie daran auch nichts ändern und es anerkennen, wie es ist. Als Folge dieser Erkenntnis löst sich Ihr Veränderungswunsch auf, womit auch Ihre Resonanz und letztendlich das gefühlte Problem verschwindet. Sie stehen für dieses Problem nun nicht mehr zur Verfügung.
Mit diesem Wissen sind wir frei, selbstverantwortlich zu bestimmen, wann, wie oft, wie lange und auch wie intensiv wir für die Lösung von Problemen zur Verfügung stehen wollen.
Aufgrund einer universellen Verbundenheit beruht unser Leben auf Anziehung und Resonanz. Wir haben in ihr viel öfter die freie Wahl als wir bisher dachten.



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Veröffentlicht in "Visionen" 11/2008, S. 36 ff.

Familienprobleme – oft nur Theater?
Unbewusste Rollenspiele erkennen und beenden

von Olaf Jacobsen

„Ich sehe was, was du nicht siehst“
Wir kennen es aus Kinofilmen: Ein Mädchen nimmt Kontakt zu kleinen Fabelwesen auf, spricht mit ihnen und erhält dadurch bestimmte Botschaften. Mit diesen Informationen geht das Kind begeistert zu seinen Eltern und erzählt es. Die Eltern schütteln nur den Kopf und nehmen das Kind nicht ernst.
Weil der Kinozuschauer eingeweiht ist, steht er auf der Seite des Mädchens. Er hält die Eltern für uneinsichtig. Das Mädchen ist traurig oder verzweifelt und fühlt sich nicht verstanden. Klar, denn es hat den Eltern eine Erfahrung voraus. Und so besteht eine Kluft zwischen dem Mädchen und seinen Eltern. Umso mehr erfreut es alle (Mädchen und Zuschauer), wenn die Eltern am Ende erstaunt mit offenem Munde die Fabelwesen selbst sehen können.
Der Kinozuschauer geht nach Hause, begegnet auf dem Heimweg einem Freund, der begeistert von den Phänomenen einer Familienaufstellung erzählt. Doch der Kinozuschauer schüttelt nur den Kopf und nimmt den Freund nicht ernst…
Es besteht eine Kluft zwischen Menschen, die das Familienstellen schon einmal erlebt haben, und denjenigen, die es nicht kennen. Und es gibt eine weitere Kluft zwischen den Menschen, die schon einmal Freie Systemische Aufstellungen durchgeführt haben, und denjenigen, die „nur“ das geführte Aufstellen kennen.

Freie Familien-Aufstellungen
Im Folgenden werde ich kurz die Phänomene des „freien“ Aufstellens beschreiben. Diejenigen Leser, die noch keine Erfahrungen diesbezüglich gemacht haben, werden vielleicht den Kopf schütteln. Die übrigen werden erkennen, wie man diese Phänomene sogar noch auf den Alltag, in die eigene Familie übertragen kann.
Beim freien Stellen leiten die Teilnehmer ihre Aufstellung selbst. Sie haben die Wahl, ob sie ihr Problem verdeckt oder offen aufstellen. Meistens wird verdeckt begonnen: Der Teilnehmer überlegt sich, was er genau anschauen möchte. Angenommen, es besteht ein Problem in seiner Gegenwartsfamilie. Dann sucht er aus der Gruppe Personen aus, die seine Familienmitglieder stellvertreten sollen. Er sucht einen Stellvertreter für sich, eine Stellvertreterin für seine Frau und zwei für die Kinder. Doch er sagt den Stellvertretern weder, welches Problem er hier aufstellt, noch, welche Rollen die jeweiligen Personen innehaben. Er stellt es sich nur innerlich vor, wer wen darstellt. Niemand aus der Gruppe ist eingeweiht – auch der Moderator nicht. Die Stellvertreter werden auch nicht aufgestellt, sondern stellen sich einfach nur zur Verfügung und beginnen nach ihren eigenen Gefühlen und Impulsen ein spontanes Rollenspiel. Es besteht also absolut keine Chance, dass den Stellvertretern irgendwelche Informationen über die Situation gegeben werden – nicht einmal nonverbal. Der aufstellende Teilnehmer muss auch die Stellvertreter nicht direkt aussuchen. Er kann einfach nur in die Gruppe rufen: „Wer möchte gerne die erste Rolle übernehmen? Wer die zweite?“ usw. So wird auch noch die letzte Beeinflussungsmöglichkeit ausgeschlossen, dass die aufstellende Person sich intuitiv Leute aus der Gruppe aussucht, die den Familienmitgliedern in gewisser Weise entsprechen.
Das Phänomen: Wenn die Stellvertreter sich für die Aufstellung zur Verfügung stellen und das spontane Rollenspiel miteinander beginnen, entdeckt die aufstellende Person in den Verhaltensweisen der Stellvertreter sofort die Dynamik der eigenen Familie wieder. Die Problemsituation spiegelt sich eindeutig! Und nun kann erforscht, den Stellvertretern Fragen gestellt und mit der ganzen Situation experimentell umgegangen werden, bis man eine Lösung für das Problem gefunden hat.
Ist die Aufstellung beendet und gehen die Stellvertreter aus ihren Rollen, stehen nun also der Aufstellung nicht mehr zur Verfügung, dann beenden sich auch die entsprechenden Rollengefühle wieder.

Unfreiwillige Aufstellungen im Alltag
Aus der Sicht als Stellvertreter: Eine Person aus einer Gruppe stellt sich als Stellvertreter zur Verfügung, erfährt während der Aufstellung verschiedene zur Problematik passende Gefühle und Impulse, die sich dann wieder beenden, wenn die Aufstellung aufhört oder die Person sich der Aufstellung nicht mehr zur Verfügung stellt und wieder in der Gruppe Platz nimmt. Dies läuft so „natürlich“ ab, ohne besondere Konzentration oder Rituale, dass ich dieses Phänomen im Alltag suchte. Ich fragte mich: Könnte das Leben nicht ständig aus lauter kleinen oder größeren unabsichtlichen Aufstellungen bestehen? Seit dieser Frage entdecke ich es überall wieder. Und es passieren lauter kleine Wunder, sobald ich noch weitere Zusammenhänge des Familienstellens direkt auf den Alltag übertrage. Wenn ich mir z.B. in bestimmten Situationen mit Freunden innerlich sage: „Ich stehe jetzt dieser Aufstellung hier nicht weiter zur Verfügung“  verschwinden auf einmal Gefühle, die ich vorher noch in problematischer Weise spürte. Einfach genial!
… und so besteht nun eine Kluft zwischen mir und all den Menschen, die so etwas bisher noch nicht erlebt haben und ungläubig den Kopf schütteln. Ich kann nur empfehlen: ausprobieren und erfahren!

Spiegelungs-Beispiele aus der Familie
Schauen wir uns eine Familie unter diesem Gesichtspunkt genauer an: Eine Mutter wachte eines Morgens mit unguten Gefühlen auf. Ihr ging es nicht gut. Auch ihr Sohn kam kaum aus dem Bett und klagte: „Mami, mir ist so schlecht – ich möchte heute nicht zur Schule!“
Die Mutter kennt die Resonanz zwischen Eltern und Kindern und sagte: „Das ist meins. Nicht dir geht es schlecht, sondern mir – und zwar ganz heftig! Du brauchst mir dafür nicht zur Verfügung zu stehen.“ Das Kind schlappte ins Bad – und nach 10 Minuten kam es voller Energie in die Küche, frühstückte herzhaft und ging fröhlich zur Schule.
Ein anderes Beispiel: Meine Partnerin und ich organisieren manchmal private freie Aufstellungen bei uns zu Hause. Während meine Partnerin ein eigenes Thema aufstellte und die Aufstellung gerade voller Spannungen war, hörten wir, wie sich ihre beiden Kinder im oberen Stockwerk zu streiten begannen. Die Kinder konnten nicht wissen, in welcher Energie sich ihre Mutter gerade befand – und doch drückte es sich sofort in Form eines Streites zwischen ihnen aus.
Oft besteht eine Lösung in einer Familienaufstellung darin, dass man eine „Last“ an die eigenen Eltern zurückgibt. Dieses Ritual bedeutet nichts anderes als: „Lieber Papa, liebe Mama, ich spiele jetzt für euch keine Aufstellung mehr. Ich stehe für das Spiegeln eurer Spannungen nicht weiter zur Verfügung.“ Immer wieder zeigt dies, dass Menschen vorher in einer unabsichtlichen Aufstellung gegenüber ihren eigenen Eltern stecken geblieben waren. Da Kinder ihren Eltern immer untergeordnet sind, stehen sie damit auch den Ungleichgewichten der Eltern zur Verfügung, befinden sich in Resonanz und haben – wie in einer Aufstellung – für die Eltern oft Stellvertreterrollen. Die Kinder spielen Rollen für diejenigen Anteile der Eltern, die die Eltern in ihrem Leben bisher noch nicht integrieren konnten. Nutzen die Eltern diesen Spiegel aber nicht und arbeiten auch nicht an sich selbst, so fangen im Laufe der Zeit die Kinder an, sich mit diesen Rollen zu identifizieren. Erst wenn sie als Erwachsene erkennen, dass es übernommene Gefühle und Verhaltensweisen sind, die sie da leben, können sie diese den Eltern zurückgeben, indem sie aus dieser schon seit Kindheit dauernden Aufstellung herausgehen und sich selbst sagen, dass sie den Eltern dafür nicht weiter zur Verfügung stehen („Ich achte dich und dein Schicksal und lasse es ganz bei dir“).

Entlastungs-Beispiele
Eltern, die sich der spiegelnden Funktion ihrer Kinder bewusst sind, können sie entlasten, indem sie ihnen erlauben, sich nun nicht weiter für eine bestimmte Energieform zur Verfügung stellen zu müssen. Dabei haben die Eltern immer die Wahl, ob sie ihr inneres Ungleichgewicht nun mit Hilfe dieses Spiegels lösen oder es noch bestehen lassen. Man kann Kinder auch entlasten, indem man ihnen klar macht, was sie hier gerade spiegeln, dass es nicht zu ihnen gehört sondern zu einem selbst, und ihnen dann einfach erlaubt, das Spiegeln zu beenden.
Diese Möglichkeit entlastet Eltern, die sich bewusst sind, dass sie selbst noch ein großes momentan nicht lösbares Problem haben, die aber bisher nicht wussten, wie sie ihr Kind davor bewahren können. Klären Sie ihr Kind bezüglich der Rolle auf, die es gerade spielt, und entlassen Sie es liebevoll aus der Rolle. Sie können auch sagen: „So wie du spürst, wenn ich gute Laune habe, spürst du auch, wenn es mir nicht so gut geht. Lieb von dir, aber das ist mein Problem. Du brauchst dich nicht darum zu kümmern.“ … und dann staunen Sie über das Wunder eines fröhlichen und entlasteten Kindes.
Manchmal können wir erleben, wie unser Partner sich wie ein provozierendes Kind oder ein strafender Elternteil uns gegenüber verhält. Der andere macht sich klein – oder macht sich besonders groß. Auch hier besteht die Möglichkeit, unserem Gegenüber zunächst mitzuteilen: „Du erinnerst mich jetzt gerade an ein kleines Kind.“ Oder: „Du erinnerst mich jetzt gerade an meinen Vater.“ Als nächstes erzählen Sie, wie Sie diese Rolle zu ihrem eigenen momentanen Problem zuordnen oder welches Gefühl es in ihnen auslöst. Sie sagen, dass Sie darüber nachdenken werden und nun ihrem Partner erlauben, diese Rolle wieder abzulegen. War das Verhalten des Partners tatsächlich eine spiegelnde Stellvertreterrolle, dann wird sich nun sein Verhalten sofort verändern.
Wenn wir selbst umgekehrt das Gefühl haben, für unseren Partner gerade eine Stellvertreterrolle zu spielen, dann können wir das formulieren. Wir können auch Vermutungen anstellen, warum und was wir hier gerade spiegeln, und können anschließend mitteilen: „Wenn du nichts dagegen hast, lege ich diese spiegelnde Rolle nun wieder ab und stehe dir dafür nicht weiter zur Verfügung. Ist das in Ordnung für dich?“
Manchmal können wir schon im Voraus unabsichtliche Gefühlsübertragungen vermeiden, indem wir unserem Partner sagen: „Ich möchte dir jetzt nur erzählen, wie es mir gerade geht. Du brauchst mir aber nicht für eine Hilfe zur Verfügung zu stehen. Ich brauche einfach nur, dass mir jemand zuhört, mich versteht und ich meine Probleme einmal in Worte gefasst habe.“ Denn oft, wenn einer klagt, stellt sich der andere zur Verfügung und gibt Ratschläge, weil er sich beim Zuhören nicht gut fühlt. Mit dieser Botschaft ist er jedoch von vornherein entlastet.

Mehr Verhaltenspielraum gewinnen
Selbstverständlich bestehen nicht alle unsere mitmenschlichen Probleme aus unabsichtlichen Aufstellungen und dem Nichtwissen um die Möglichkeit, sich selbst oder andere aus Rollen zu entlassen. Natürlich gibt es nach wie vor einen Großteil unserer Probleme, den wir auf herkömmliche Weise lösen müssen, durch Selbstreflexion, Umwandlung von Abwehr in Annahme, Meditation, Selbsterkenntnis, viele verschiedene therapeutische Methoden, etc. Und natürlich können wir die alltäglichen Aufstellungen auch erfolgreich als Spiegel für uns nutzen. Aber das Wissen um die Möglichkeit, sich selbst und andere aus unabsichtlich übernommenen Rollen wieder zu entlassen, erweitert unser Verhaltensspektrum enorm – und führt leider zu einer weiteren Kluft zu den Menschen, die das alles nicht nachvollziehen können...

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Veröffentlicht in "Wegweiser" 5/2010, S. 26

Wünsche wecken Wirkungen und Wertungen

von Olaf Jacobsen

Ich sitze am Klavier und spiele vor mich hin – planlos. Meine Partnerin kommt in den Raum und fragt mich etwas. Später klingelt das Telefon – ein Klient möchte einen Beratungstermin. Anschließend setze ich mich wieder an das Klavier und spiele weiter – planlos. Ich fühle mich ausgeglichen und genieße, was passiert.
Am nächsten Tag höre ich im Radio ein geniales Klavierstück von Chopin. Ich bin begeistert und möchte es spielen können. Gleichzeitig fällt mir ein, dass in zwei Wochen ein Freund von mir seinen runden Geburtstag feiert. Das wäre ja die Gelegenheit, dieses Klavierstück vorzuspielen. Ich weiß, dass es knapp wird, doch ich werde es hinbekommen. Gezielt plane ich meine Zeit so effektiv, dass ich in zwei Wochen das Stück beherrsche. Hochmotiviert beginne ich zu üben. Der Gedanke an den Auftritt und das erfreute Gesicht meines Freundes lassen mich selbst schon Vorfreude fühlen. Meine Partnerin kommt in den Raum und fragt mich etwas. Ich fühle mich gestört – so eine banale Frage, damit hätte sie auch warten können! Meine Bitte an sie: mich nicht mehr stören.
Ich übe weiter – das Telefon klingelt. Genervt ergreife ich den Hörer. Ein anderer Klient möchte einen Termin. Ich gebe ihm einen in drei Wochen. Für ihn ist es aber sehr dringend – ob ich nicht noch einen früheren Termin hätte. Bei dem Gedanken gerate ich unter Druck, denn es könnte sein, dass ich das Klavierstück nicht mehr rechtzeitig lerne. Ich bin im Zwiespalt und werde leicht unfreundlich, schaffe es aber, mich zusammenzureißen. Wenn ich jedoch ganz ehrlich wäre: Ich habe absolut keinen Bock, diesem Klienten überhaupt noch zur Verfügung zu stehen. Warum versteht er nicht, dass ich ihm bereits den frühesten möglichen Termin gegeben habe? Warum muss er noch einmal nach einem früheren Termin fragen – und mich dadurch in diesen Zwiespalt bringen, „Nein“ sagen zu müssen?

Ich verallgemeinere: Sobald wir einen Wunsch haben, so entstehen als Folgen automatisch Wertungen. Es gibt nun Dinge oder Situationen, die dem Erreichen unseres Zieles dienen, und andere, die hinderlich sind und uns vom Ziel abhalten oder uns behindern. Diese Unterscheidung ist eine völlig normale und natürliche „Wertung“: Das eine gehört dazu, und das andere nicht. Möchte ich ein Klavierstück spielen, so gibt es Töne, die (zum richtigen Zeitpunkt gespielt) dazugehören, und andere Töne, die nicht dazugehören.
Unsere Probleme entstehen in dem Moment, in dem wir intensiv an einem Ziel festhalten und gleichzeitig etwas anderes uns intensiv daran hindert, das Ziel zu erreichen. Wir beginnen zu kämpfen und nach Lösungen zu suchen. Eine von vielen Lösungen könnte sein, das Ziel loszulassen, den Wunsch in der momentan bestehenden Form wieder aufzugeben. Buddha soll gesagt haben: „Das Begehren ist die Ursache des Leidens.“ Das erscheint in diesem Zusammenhang nun logisch. Sobald in uns ein Wunsch, ein Ziel, ein Begehren existiert, teilt sich für uns ganz automatisch unsere Welt in zwei Pole auf: Es entstehen für uns sowohl Unterstützungen als auch Hindernisse, richtige und falsche Töne. Polarität. Dementsprechend ist das Begehren gleichzeitig auch die Ursache des Glücks, denn manchmal können wir unsere Ziele auch erreichen, spielen die richtigen Töne, erfahren die passende Resonanz und freuen uns darüber. Das Begehren ist sowohl die Ursache des Leidens als auch des Glücks, des Auf und des Abs, kurz: der „Bewegung“. Haben wir keinen Wunsch, kein Ziel, kein Begehren, geben wir also für eine gewisse Zeit all unsere Ziele auf, so verschwinden gleichzeitig jegliche Wertungen und Bewegungen vom Positiven ins Negative oder umgekehrt. Man „ist“ nur noch. „Ich bin“. Und damit ist man auf der Ebene angekommen, die von so vielen Erleuchteten beschrieben werden – die Ebene des einfachen Seins im Jetzt. Diese Ebene ist die Basis, die schon immer vorhanden ist. Wir sind. Alles ist. Auf der Ebene der Existenz ist alles gleich. Hier gibt es keine Wertungen, denn es gibt nichts, das nicht dazugehört.

(Dieses Thema habe ich ausführlicher im Buch „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung – Die Folgen“ behandelt)

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Freies Familienstellen in Köln
Gespräch mit Olaf Jacobsen
Januar 2011

Olaf Jacobsen ist der Begründer des Freien Familienstellens und Bestsellerautor. Er lebt seit 2009 in Köln und möchte hier seine Methode des eigenverantwortlichen Aufstellens den Menschen nahe bringen. Mit dem Buch „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung“ wurde Jacobsen deutschlandweit bekannt. Darin zeigt er einen wirkungsvollen und einfachen Ansatz, sein eigenes Leben zufriedener zu gestalten. Ich habe Olaf Jacobsen in seinem Domizil in Köln-Ossendorf besucht, und mit ihm u.a. über das Phänomen des Aufstellens gesprochen. Und ich war erstaunt…

Olaf, du bist in Neumünster aufgewachsen. Wie bist du nach Köln gekommen?
Ich habe in Karlsruhe studiert. Es war nie meine Herzensstadt, sondern "nur" eine Übergangslösung. Ich hatte lange Zeit nicht so viel Geld, dass ich mir einen Umzug und einen Neuanfang in einer anderen Stadt leisten konnte. Doch dann durfte ich einen Bestseller schreiben: "Ich stehe nicht mehr zur Verfügung". Und nun standen mir die Mittel zur Verfügung, mir die Stadt auszusuchen, in die mich mein Herz zieht. Und das ist Köln.

Wie schön! Nun bist du da. Wie gefällt es dir hier?
Das erste, was mir aufgefallen ist, sind die offenen und freundlichen Menschen. In Karlsruhe waren die Menschen zwar auch freundlich, doch ich erlebte sie dort tendenziell konservativer. Köln empfinde ich fröhlicher und auch spiritueller.

Gibt es etwas Verbesserungswürdiges?
Was ich Köln bescheinigen muss, ist, dass Karlsruhe die besser funktionierenden Müll- Lösungen entwickelt hat (z. B. beim Sperrmüll). Köln geht sehr knauserig mit Müllbeseitigung um, so dass ich es hier als dreckiger empfinde. Grundsätzlich finde ich es aber bestätigt, dass mein Herz mich nach Köln gezogen hat, und ich freue mich, hier zu leben.

Du bist nun angekommen und bietest Freies Familienstellen in ganz Köln an. Unter anderem im MegaHerz in Köln-Mülheim. Was hat es damit auf sich?
Ich möchte Köln das Freie Familienstellen zeigen - und welches Potenzial sich dahinter versteckt, um damit sein Leben glücklicher zu gestalten. Aufstellungen kann man, außerhalb eines therapeutischen Rahmens, direkt im Alltag einsetzen: mit dem Partner, in der Firma, im Freundeskreis. Es ist ein großer Gewinn für die Menschen. Deshalb biete ich dies hier ab
2011 in sehr großem Stil an. Desweiteren arbeite ich an Büchern und werde irgendwann einen Film über das Freie Aufstellen veröffentlichen. Auch dazu wird mir die Stadt Köln eine Unterstützung sein.

Du hast das Freie Familienstellen begründet. Dazu auch Bücher geschrieben und in
diesem Zusammenhang dein erfolgreiches Werk „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung“
veröffentlicht. Wie bist du dazu gekommen, denn eigentlich bist du studierter
Musiker…
Ersteinmal muss ich sagen, dass die Musik mit meinen Erkenntnissen nichts zu tun hat. Es lief immer parallel. Ich habe schon als Kind Klavier gespielt und hatte als Jugendlicher großes Interesse an psychologischen Zusammenhängen, Gedanken und Überlegungen. Dieses Hobby, über alles nachzudenken, zu analysieren und in mir selbst Blockaden und
Hemmungen zu klären, hat mich auf einen großen und langen Erkenntnisweg geführt.

Also hast du schließlich deinen Beruf zum Hobby und dein Hobby zum Beruf gemacht.
Wie bist du auf das systemische Familienstellen aufmerksam geworden?
Ich habe 1996 ein Buch von Bert Hellinger gelesen, der das traditionelle Familienstellen als Therapie in Deutschland bekannt gemacht hat. Diese wird von Therapeuten geleitet und durchgeführt. Bereits beim Lesen bin ich auf den Gedanken gekommen, dass diese Methode ja auch ganz privat anwendbar ist - ohne therapeutische Begleitung.

Wie hat sich die Idee manifestiert?
1997 erlebte ich auf dem ersten Kongress für Systemische Aufstellungen sowohl Bert Hellinger, als auch viele andere Referenten, die sich mit den unterschiedlichsten Formen von Aufstellungen auseinandersetzten. Dabei bestätigte sich in mir das Gefühl: Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, mit Aufstellungen umzugehen, die hier niemand anbietet. 2003 entwickelte ich dann das "Freie Aufstellen", bei dem jeder Teilnehmer ganz eigenverantwortlich seine Aufstellung selbst leiten kann. Außerdem darf er darüber bestimmen, wie damit umgegangen werden soll und was er für Schlüsse daraus für sein Leben zieht.

Um auf die Eigenverantwortung weiter eingehen zu können, möchte ich dich bitten das
Systemische Familienstellen zu erklären. Wie funktioniert das?
Der Begriff "System" kommt aus dem griechisch-lateinischen und bedeutet "Zusammenstellung". Wir Menschen benutzen das Wort, wenn wir eine Zusammenstellung von Elementen einheitlich beschreiben wollen. Bei einer Aufstellung wird immer eine bestimmte Gruppe von Elementen betrachtet, wie z.B. ein Familiensystem.

Und was passiert bei diesen Elementen?
Bei den Aufstellungen ist es so, dass ein Teilnehmer eine bestimmte Problematik mitbringt und aus der Gruppe andere Teilnehmer aussucht, die stellvertretend für einzelne Elemente oder Personen seiner Problematik stehen. Diese Stellvertreter entwickeln dann Gefühle, die denen der realen Personen ähneln. Es ist ein Phänomen. Dieser Punkt ist schwer zu begreifen. Man kann es vielleicht am ehesten mit Kindern erklären. Wenn es den Eltern nicht so gut geht, dann ist das Kind auch nicht so gut drauf.

Kannst du dies an einem Beispiel verdeutlichen?
Eine Frau hat bspw. Probleme mit ihrem Mann. Sie sucht sich zwei Leute in der Gruppe aus, die den Mann und sie selbst vertreten. Diejenigen müssen nicht mal etwas über die Thematik wissen. Die Stellvertreter erzählen nun von ihren Gefühlen. Und sie werden feststellen, dass die Frau zum großen Teil bestätigt, was bei den Stellvertretern passiert. Die Stellvertreter spiegeln intuitiv die Beziehung zu ihrem Mann wieder. Mit den auftauchenden Gefühlen kann sie nun Lösungsansätze erarbeiten.

Es klingt unglaublich. Das funktioniert?
Das Phänomen ist wissenschaftlich nicht erklärbar. Es existiert nur die jahrelange Erfahrung der Praktizierenden. Es gibt eine Resonanz-Ebene, auf der sich diese Gefühle widerspiegeln. Ich selbst mache seit ca. 8 Jahren Aufstellungen und habe vielfältige positive Erfahrungen damit gesammelt.

Was hat die Frau nun davon, dass sich z. B. der Stellvertreter des Mannes wie
ihr Mann fühlt? Welche Möglichkeiten entstehen daraus?
An dem Punkt, wo die Gefühle widergespiegelt werden, kann sie bspw. fragen: „Was würdest du denn jetzt brauchen, damit es dir besser geht?“ u.s.w. Man kann experimentieren und daraus neue Ideen und Erkenntnisse entwickeln.

Das ist interessant. Sie kann also, ohne ihren Mann direkt zu konfrontieren, Lösungen für die Situation ausprobieren. Du bietest deine Arbeit in ganz Köln an. Wie funktionieren deine Veranstaltungen?
Wir beginnen mit einer kleinen Vorstellungsrunde, in der jeder seinen Namen mitteilt und ob er gern aufstellen möchte oder lieber erstmal nur zuschaut. Ich beschreibe kurz die Regeln des Freien Aufstellens und anschließend losen wir aus, wer aufstellen darf. Wenn jemand noch nie eine eigene Aufstellung durchgeführt hat, erkläre ich ihm, was und wie er es tun kann. Derjenige sucht sich dann aus der Gruppe Personen aus, die für bestimmte "Rollen" stehen und damit das Problem darstellen. Diese Stellvertreter fühlen sich dann in ihre Rolle ein und geben ein Feedback über ihre Gefühle. Diese Gefühle können wie gesagt oft sehr wertvolle Hinweise zur Lösung eines Problems bieten.

Das heißt es muss nicht jeder, der zur Veranstaltung kommt zwangsläufig aufstellen?
Keiner „muss“ aufstellen. Man kann auch einfach nur zuschauen. Und für die, die unbedingt aufstellen wollen, aber nicht ausgelost werden, gilt: Je öfter jemand zu einer Aufstellung "Freies Familienstellen" gekommen ist und nicht ausgelost wurde, desto eher kommt er dran. Denn man kann mit jeder Teilnahme Aufstellungspunkte sammeln - und wer die meisten Punkte mitbringt, darf aufstellen. Pro Abend stellt also immer einer auf, der die meisten Punkte hat, und mindestens einer, der ausgelost wird.

Um zur Eigenverantwortung zurück zu kommen, was bedeutet Freies Aufstellen im
Gegensatz zum systemischen Familienstellen, wie es nach Hellinger betrieben wird?
Das „frei“ bedeutet, dass die Teilnehmer frei entscheiden können, WEN sie WIE aufstellen. Normalerweise entscheidet das der Aufstellungsleiter. Ich habe 2003 einen Rahmen entwickelt, also Regeln aufgestellt, in dem man die Stellvertreter eigenverantwortlich für sich selber nutzt. Das hatte damals so noch nie jemand gemacht und ich bin sozusagen der Erste. Jetzt gibt es inzwischen immer mehr Aufstellungsleiter, die es ein wenig freilassen.

Warum bietest du das Freie Aufstellen an?
Ich erfahre immer wieder, dass man im privaten Rahmen das Aufstellen für alltägliche Probleme nutzen kann. Die positive Wirkung können Menschen so in ihrem Alltag nutzen, um Probleme auf eine andere Art zu lösen. Die Eigenverantwortlichkeit spielt hierbei eine zentrale Rolle.

Warum?
Das Freie Aufstellen ist ein Weg um Eigenverantwortlichkeit zu erlernen. Denn der Handelnde trägt die Verantwortung für sein eigenes Wohlergehen selbst. Der positive Effekt bei dieser Haltung ist, dass der Mensch so einen klareren Zugang zu seinem Selbstschutz und zu seinen Selbstheilungskräften bekommt. Er geht nicht mehr davon aus, dass jemand anderes
das eigene Problem für ihn löst, sondern der Mensch wird aktiv, sich selbst zu helfen.

Wie definierst du dabei deine Rolle?
Ich möchte nicht, dass die Menschen Vertrauen zu mir als Leitender bekommen, denn ich bin kein Heiler, Arzt oder Therapeut. Sondern ich möchte eher Menschen ansprechen, die mit der Methode selbstständig etwas anfangen können. Menschen, die es einmal ausprobieren wollen. Ich will nicht, dass jemand denkt, ich kann ihm helfen. Jeder soll erfahren, dass er sich selber helfen kann. Deswegen nehme ich mich da ein wenig zurück. Ich zeige den Menschen, was sie aus einer Aufstellung rausziehen können. Ich zeige ihnen aber nicht die Lösung ihrer Probleme.

Dein Buch „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung“ wird durch den Windpferd
Verlag herausgegeben und ist mittlerweile über 100.000 Mal verkauft worden. Ich
vermute es geht in dem Buch um Freies Aufstellen?
Ja aber anders als vermutet. Ich habe hierbei einen alltäglichen Zusammenhang aufgegriffen. Ich habe realisiert, wenn ein Stellvertreter aus seiner Rolle heraus geht und nicht mehr zur Verfügung steht, dann hört seine Rolle und somit auch die Rollen-Gefühle auf. Das heißt, der Mensch hat keine Kopfschmerzen mehr oder fühlt sich unter Druck gesetzt u.s.w. Ich habe darüber nachgedacht, geforscht und erörtert, was passiert, wenn ich im Alltag nicht mehr zur Verfügung stehe.

Wie meinst du das?
Ich meine die Situation, in der du bspw. durch den Stress von jemand anderem angesteckt wirst. Wenn du dich dort emotional raus nimmst und sagst, „Nein ich stehe dir für deinen Stress nicht mehr zur Verfügung“, was passiert dann? Es fallen bestimmte Gefühle von dir ab und es geht dir besser. Darum geht es in dem Buch. Ich habe dieses Phänomen der Aufstellungen in den Alltag übertragen und mir überlegt, wo stehen wir uns eventuell selbst im Weg.

Warum tust du das? Bücher schreiben, Vorträge und Seminare halten…Welche
Motivation steckt dahinter?
Ich empfinde es so, im Laufe meines Lebens durch meine Erfahrungen und Überlegungen Sichtweisen gefunden zu haben, die mir eine große Klarheit, Sicherheit und viele glückliche Momente bieten. Dies möchte ich auch anderen Menschen zur Verfügung stellen.

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Dass die Weisheit unserer Gefühle und damit auch das Potenzial des Phänomens "Freies Aufstellen" von vielen Menschen erkannt und genutzt werden kann - und es sich in vielen Zweigen unseres Lebens als wertvolles Werkzeug etabliert.

Vielen Dank und viel Erfolg!
Ilka Baum (Köln Mühlheim)



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